Welch eine Hybris!

Predigt zur Bittprozession am Markustag

52 Millionen € hat der Zentralverband des deutschen Handwerks in seine neueste Imagekampagne investiert. Bundesweit wollen die Handwerkskammern mit dem ausgedachten Werbespot auf die Bedeutung des Deutschen Handwerks hinweisen und Schulabgänger für eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf gewinnen. Ich weiß nicht, was Sie empfinden, wenn Sie diesen Werbespot hören, der da lautet:
„Am Anfang waren Himmel und Erde. Den ganzen Rest haben wir gemacht!“

Selbstbewusst klingt das, mindestens so selbstbewusst wie die Faust mit dem erhobenen Daumen, die das „d“ im Wort Handwerk bildmalerisch auf dem Plakat ersetzt. Sicherlich, man wollte dadurch darauf hinweisen, was wäre denn ein Volk mit so viel Akademikern und Managern und Schreibtischmenschen, wenn es nicht diejenigen gäbe, die sich auf ihrer Hände Werk verstehen. Als einer, der immer seine Handwerker in der Familie oder der Verwandtschaft braucht, wenn es etwas komplizierteres zu machen gibt, staune ich oft, was menschlicher Erfindungsreichtum und handwerkliches Geschick alles zu Wege bringen kann.

Aber irgendwie behagt mir dieser Werbespot nicht: „Am Anfang waren Himmel und Erde. Den ganzen Rest haben wir gemacht!“ Das riecht mir nach einer gehörigen Portion Arroganz. Das klingt nach: Nicht Himmel und Erde sind staunenswert, sondern unser menschlicher Erfindungsgeist und handwerkliches Geschick. Was sind schon Himmel und Erde gegenüber den ganzen Rest, den wir gemacht haben? Das ist eine Mentalität der Macher in eine Richtung, wie sie das DDR-Regime einmal propagieren wollte: „Ohne Gott und Sonnenschein, fahren wir die Ernte ein“ oder wenigstens in die Richtung eines schlitzohrigen Winzers, der nach einem schlechten Weinjahr sagt: „Der Herrgott hat ihn wachsen lassen“ - und nach einem Spitzenjahrgang: „Den Wein haben wir gemacht.“


Eine solche Mentalität ist eine Welt der Macher. Und diese Welt der Macher bringt eine große Gefahr mit sich: Die Gefahr der Respektlosigkeit gegenüber allem, was sie nicht gemacht hat. Und die Gefahr einer maßlosen Selbstüberschätzung. In einer Welt der Macher, wo es in erster Linie darum geht, um immer mehr zu machen und immer mehr Profit zu erwirtschaften, besteht auch die Gefahr, immer mehr über Leichen zu gehen.

Liebe Leser! Die Tradition unserer Bittprozessionen will in uns nicht eine Mentalität der Macher fördern. Sie will uns eine andere Mentalitäts-Kultur vermitteln: Eine Kultur, auf dem Boden zu bleiben, sich nicht überschätzen. Sie will mir sagen: Mensch, du bist nicht „creator“, sondern Kreatur, nicht Schöpfer, sondern Geschöpf. Und wenn dir viele schöpferische Begabungen mit ins Leben gegeben werden, dann bedenke, egal ob als Handwerker, Bauer, Wissenschaftler oder Manager: das alles sind Geschenke aus der Hand dessen, der Himmel und Erde gemacht hat.

Ich musste schon direkt schmunzeln, wie aufgeregt die Welt vor ein paar Tagen war, als die Aschewolke des isländischen Vulkans die Flugzeuge, Prestigeobjekte einer Machergesellschaft, zu Boden zwang. Wie schnell doch eine Machermentalität von der Natur auf den Boden der Tatsachen geholt wird. Von Wegen: „Am Anfang waren Himmel und Erde. Den ganzen Rest haben wir gemacht!“


Pfarrer Stefan Mai

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