Schafft den alten Sauerteig weg!

Predigt zum Ostersonntag 2010 (Auswahllesung: 1 Kor 5)

Vielen Frauen liegt es im Blut: der Osterputz. Das gehört einfach dazu. Auf Ostern müssen die Fenster geputzt, die Vorhänge gewaschen, die Teppiche geklopft, die hintersten Ecken ausgesaugt, die Kacheln auf Hochglanz gebracht und die Wohnung festlich geschmückt werden.
Welch eine Genugtuung: eine reine Wohnung, ein frischer Duft, glasklare Scheiben. Das gehört einfach zu Ostern, das Gefühl: alles wie neu.
Das ist nichts Neues. Im Judentum ist es schon immer Brauch, dass vor dem Paschafest, also unserem Osterfest, ein großes Reinemachen auf dem Plan steht. Aber in der Antike rückt man nicht dem Staub zu Leibe, sondern der Fäulnis. Konkret gesagt: dem Sauerteig. Man brauchte ihn zum Brotbacken. Jede Familie hatte ein Schälchen Sauerteig im Haus. So unentbehrlich der Sauerteig war, so negativ war er besetzt. Sauerteig hat ungeheuere Kraft: Sobald er mit Brotteig in Berührung kommt, durchsäuert er binnen kurzer Zeit die ganze Teigmasse. Aber Sauerteig ist auch ein Herd von Fäulnis und Schimmel – und deshalb für die Alten ein Bild für Ansteckungsgefahr durch Böses. Einmal im Jahr, kurz vor Ostern, entfernen Juden den alten Sauerteig aus dem Haus, essen acht lang nur ungesäuertes Brot – und setzen dann erst wieder neuen Sauerteig an. Jedes Ostern ein Neuanfang.
Der Apostel Paulus greift diesen jährlichen Ritus in seinem Korintherbrief auf und überträgt ihn auf die Gemeinde. Er ruft den Korinthern zu: „Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid. Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden. Lasst uns also das Fest nicht mit dem alten Sauerteig feiern, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit!“ (1 Kor 5,6-8).
Das sind nicht nur schöne Bilder. Für Paulus steht eine ganz konkrete Tatsache im Hintergrund: das sexuelle Fehlverhalten eines Gemeindemitglieds. Paulus schreibt: „Übrigens hört man von Unzucht unter euch, und zwar von Unzucht, wie sie nicht einmal unter den Heiden vorkommt; dass nämlich einer mit der Frau seines Vaters lebt …“ (1 Kor 5,1). Und Paulus plädiert dafür, diesen Mann wie alten Sauerteig aus der Gemeinde zu entfernen, auch wenn er deutlich sagt: Das letzte Urteil hat allein Gott zu sprechen.
Aber viel wichtiger ist für ihn noch, dass sich in der ganzen Gemeinde etwas ändern muss. Denn sie hat diesen Missbrauchsfall auch noch geduldet. Nur durch Zufall ist er Paulus zu Gehör gekommen. Und da legt er radikal den Finger in die Wunde – und sagt der Gemeinde: Ihr müsst euch ändern. Und er gibt auch die Richtung vor: „Lasst uns also das Fest nicht mit dem alten Sauerteig feiern, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit!“
Die Leitworte lauten: Aufrichtigkeit und Wahrheit. Da wird Wahrheit umschrieben: als Aufrichtigkeit, Klarheit, Glaubwürdigkeit. Wahrheit hat nichts mit der Lehre, sondern mit dem Lebenswandel zu tun.
Liebe Leser, ich denke, Sie haben gemerkt, wie aktuell die 2000 Jahre alten Worte des Paulus für unsere katholische Kirche sind. Wie richtungweisend diese Worte für die momentane Krise sein könnten. Es geht nicht nur um die Verurteilung der Täter, es geht um die Kirche als ganze, es geht um die Frage nach einer neuen Lebenskultur:
statt auf die absolute Wahrheit zu pochen und sie den anderen um die Ohren zu schlagen, selbst wahrhaftig zu leben und Fehler eingestehen zu können;
statt andauernd hohe Ideale wie eine unerreichbare Messlatte aufzurichten und dann andere zu verurteilen, Menschen in ihren schwierigen Lebenslagen zu verstehen suchen;
statt den moralischen Zeigefinger zu heben, Wege zu suchen, wie Menschen aus Sackgassen herausfinden können;
anstatt nur von anderen Reformen zu fordern, höchst notwendige Reformen in den eigenen Reihen endlich durchzuführen;
statt immer deutlicher auftretende Probleme unter den Teppich zu kehren, endlich zuzulassen, dass sie offen diskutiert werden.
Liebe Leser, es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass der Missbrauchskandal in der katholischen Kirche ausgerechnet in der österlichen Bußzeit hochgekommen ist. Wenn unsere Kirche ein neues Ostern erleben will, reicht nicht die fromme Feier der Liturgie. Sondern da braucht es, wie der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper gefordert hat, ein „Großreinemachen“ in der katholischen Kirche. Oder wie es Paulus gesagt hat: „Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid!“


Pfarrer Stefan Mai

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