Über die Grenze hinaus

Predigt zum 3. Fastensonntag (Ex 3,1-8a.10.13-15)

„Jed´s Säula ghört a sei Tröigla“ – jedes Schweinchen gehört an seinen Futtertrog. Diesen Satz habe ich daheim so manches Mal gehört. „Jed´s Säula ghört a sei Tröigla“ – das bedeutet so viel wie: Jeder Mensch muss wissen, wo er hingehört und sollte sich nicht mehr einbilden als was er ist. Wir kennen alle das Sprichwort „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ Es wird noch immer in den Mund genommen, wenn einer über seine Möglichkeiten und Fähigkeiten hinaus will oder von Dingen redet, von denen er nichts versteht.
Der Volksmund warnt davor, vertrautes Erfahrungsfeld zu verlassen, Grenzen zu überschreiten, allzu viel Risiko einzugehen. Du kannst dich schnell übernehmen, ja das kann sogar für dich gefährlich werden.

Auf diesem Hintergrund bin ich bei der heutigen Lesung an einem Satz hängen geblieben. Da heißt es: „Mose weidete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus.“ Der erfahrene Hirte Mose lässt die gewohnten Weideflächen hinter sich. Er wagt den Blick hinter die Kulissen des bisher Üblichen. Er wagt einen Schritt ins Neuland, obwohl er genau weiß: Das ist ein Risiko, das kann sogar gefährlich werden. Aber das Wagnis wird belohnt: Plötzlich steht er vor Gott. Und Gott spricht mit Mose aus einem brennenden Dornbusch, wo kein Mensch Gottes Herrlichkeit vermuten würde. Unvorstellbar, Gott spricht nicht in einem herrlichen Tempel, er spricht auch nicht aus einem fruchtbaren Weinstock oder einer stolzen Palme. Gott spricht aus einem undurchdringlichen Strauch, der mit seinen langen und harten Dornen Wunden reißen kann. Und Mose hört an diesem Ort einen Auftrag, vor dem er ausgerissen ist und Angst hat: „Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“

Kann es nicht sein, dass auch Gott heute noch so handelt? Kann es nicht sein, dass auch heute Menschen Gott nicht nur im Gewohnten, in festlichen Gottesdiensten, in gängigen Frömmigkeitsformen, sondern an völlig unvermuteten Orten ihnen nahe kommt und spürbar wird? Kann es nicht sein, dass Gott gerade auch dort auf Menschen wartet, wo sie Grenzen überschreiten und den Mut aufbringen, Dinge zu tun, vor denen sie bisher Angst hatten?
Wie viele Menschen haben Angst, über die Schwelle eines Sterbezimmers zu gehen und würden am liebsten davor ausreißen, erleben aber dann: Das war eine wichtige Erfahrung in meinem Leben. Und ich konnte sogar spüren: Gott war irgendwie mit dabei und hat mir Kraft gegeben. Wenn ich mich gedrückt hätte, hätte ich eine wichtige Lehrstunde des Lebens verpasst.
Welcher Mensch hat keine Angst vor persönlichen Krisen im Leben? Und doch erzählen immer wieder Menschen davon, wie sie durch diese dornenreiche und harte Lebensschule innerlich gewachsen und reifer geworden sind. Und sogar spürten: Gott ist da mitgegangen.
Und wie befreiend war es für manchen, etwas zu tun oder zu sagen, wovor er immer Angst hatte, aber innerlich spürte, da kannst du dich nicht ein Leben lang vorbeidrücken. Und da hat mir ein anderer die innerliche Kraft dazu gegeben.

Liebe Leser, Gott lässt sich nicht vorschreiben, wie und wo er Menschen begegnen will. Mir kommt es aber so vor: Die grundlegenden Glaubenserfahrungen werden im ganz gewöhnlichen Alltag gemacht, im täglichen Gebet, in Gottesdiensten, in Riten und Traditionen. Einschneidende religiöse Erfahrungen machen Menschen oft unverhofft: dort, wo sie über eine Grenze hinausgehen oder gar an Grenzen des Lebens stoßen.


Pfarrer Stefan Mai

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