Die Weisheit eines alten Gesangs

Gedanken beim Konzert Gregorianik & Saxophon am 28.2.2010 in der Johanniskapelle/Gerolzhofen

Seitdem die Mönche vom Stift Heiligenkreuz in Österreich vor ein paar Jahren mit ihrer CD- Einspielung von gregorianischen Chorälen die Charts von England erobert haben, ist er in der Musikwelt wieder in: der uralte gregorianische Choral. Trotzdem hat er es im Kirchenvolk nicht leicht. Selbst die früher bei jedem Katholiken bekannte Missa de angelis ist vielen Kirchgängern nicht mehr vertraut, wird als schwerer, ernster Gesang empfunden aus einer fernen Welt.
Der gregorianische Gesang war eigentlich auch nie im eigentlichen Sinn Gemeindegesang. Er wurde in Domkirchen gesungen, vor allem aber in den Benediktinerklöstern. Gregor der Große, der 604 starb, gilt der Legende nach als Autor der Melodien. Darum wird er dargestellt mit der Taube des Geistes, die ihm die Melodien ins Ohr flüstert.
Der gregorianische Choral ist die früheste Äußerung christlicher Musik. Es ist der einstimmige, unbegleitete Gesang der klassischen römischen Liturgie. Latein ist die Sprache des Chorals. In gelassenen Rhythmen, die von einem natürlichen Atemrhythmus diktiert sind, und freien Melodien sucht dieser Gesang der Klanggestalt eines Wortes oder dem Sinn eines Satzes zu folgen. Ich denke, Sie haben bisher gespürt: Die monotone Einstimmigkeit hat eine konzentrierende Wirkung und eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Und ist zugleich ein Bild der Gelassenheit und Ruhe.

Jede Musik ist eingebettet in ein Lebensgefühl oder eine Frömmigkeitsform. Die Musik eines Haydn oder Mozart wäre ohne das höfische Flair von Residenzen und Bischofspalais nicht denkbar. Die Musik der Romantik brauchte die Entdeckung des Individuums und seiner Stimmung und Seelentiefen. Ohne die schnellen Bilder der Fernsehwelt und ohne die Gewöhnung an die Lautstärke unserer Zeit wären wohl die verschiedenen Musikszenen mit ihren vibrierenden Bässen und abgehackten Rhythmen nicht denkbar. So ist auch der gregorianische Gesang nicht zu verstehen ohne die Frömmigkeitsform der frühen Benediktinerklöster.

Tritt ein junger Mensch in die Ordensgemeinschaft der Benediktiner ein, so wird der neue Mönch von der Gemeinschaft feierlich aufgenommen. Er bekommt einen neuen Namen und einen Habit, den alle Mönche im Kloster tragen. Und er singt täglich mehrmals zum Lobe Gottes in der Gemeinschaft gregorianischen Choral. Jeder Mönch mit seiner Stimmlage fügt sich ein in diesen alten einstimmigen Gesang und ordnet somit seine Individualität der Gemeinschaft unter. Siebenmal am Tag wird er mit seinen Brüdern das Gotteslob singen.
Opus nennen die Benediktiner das Chorgebet: Arbeit, Mühsal.
Gebet, Gesang, die Liturgie als Arbeit! Keiner fragt, ob ihm in aller Herrgottsfrüh von seiner Stimmung danach zumute ist. Der Mönch reiht sich ein in den gregorianischen Gesang, den unzählige vor ihm schon gesungen haben und lässt sich auch von ihm tragen. Und jedem wird durch das Einstimmen in diesen einstimmigen Choral bewusst: Es kommt nicht auf meine Gestimmtheit an. Auf den Einzelnen kommt es soviel oder so wenig an, wie es auf einen Einzelnen in einem tausendstimmigen Chor ankommt. Er fügt sich ein in den Gesang aller. Er will mit vielen singen und wird immer wieder die alten Gesänge wiederholen und hofft, dass diese alten Gesänge sein Glück ausdrücken, ihn aber auch trösten und über Abgründe hinwegtragen.

Mit dieser Philosophie des Einreihens der eigenen Individualität in ein Größeres der Gemeinschaft tut sich unsere Zeit, in der die Selbstverwirklichung des Einzelnen stark betont wird, nicht leicht. Aber manchmal glaube ich schon wieder zu spüren, dass die Gefahr der Überforderung durch die ständige Konzentrierung auf das eigene Ich, die eigene Leistung wieder stärker erkannt wird und die Sehnsucht nach einem Lebensgefühl wieder wächst, aus dem der gregorianische Choral gewachsen ist: Ich füge mich ein in ein Größeres und werde auch von diesem Größeren mitgetragen.

Gedanke zum Schluss

In unbestechlicher Treue pflegen die Benediktiner seit über eineinhalbtausend Jahren in ihren Klöstern den Choral und das gemeinsame Chorgebet. Sie tun es, ob Menschen da sind oder nicht, ob der Choral Mode ist oder nicht. Sie tun es, weil sie vom tiefen Glauben getragen sind, was der letzte Choral, den wir eben gehört haben, zum Ausdruck bringt: Gloria, laus et honor tibi sit. Ehre, Preis und Ruhm sei dir, o Gott.

Lesungstext: Kol 3,12-17


Pfarrer Stefan Mai

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