Sie werden dich auf ihren Händen tragen …

Predigt zu Lk 4,1-13 (C/1. Fastensonntag 2010)

Einleitung

Mein Freund ist Pfarrer in einer Kleinstadt im Süden. Er hat mir erzählt: Ich mache seit einiger Zeit eine merkwürdige Erfahrung. Wenn ich bei Trauerfällen frage: Haben Sie einen besonderen Liedwunsch für das Requiem, dann kommt häufig, gerade bei Leuten, die nicht so viel mit der Kirche am Hut haben, wie aus der Pistole geschossen: „Von guten Mächten wunderbar geboren“ – das wäre schön. Das ist so tröstlich. Und wenn er zurückfragt: Alle Strophe, auch die, in der es heißt: „…Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand“, dann kommt sofort: Ach, die lassen wir lieber aus. Die fünfte Strophe ist schöner, wo es heißt: „Lass warm und hell die Kerzen heute flammen …“
Das macht mich nachdenklich, wie viele Menschen mit diesem inzwischen bekanntesten Engellied umgehen.

Predigt

Engel sind ein wahrer Renner. Und das schon seit gut 20 Jahren. In jedem Laden für Geschenkideen gibt es eine Engelecke. In jeder Buchhandlung einen Tisch mit Engelbüchern. Und auch in kirchlichen Verlagskatalogen werden ganze Seiten mit Engeln angeboten. Da gibt es den Engel als Handschmeichler. Er soll dir das Gefühl geben: Du bist nicht allein. Da gibt es die Engelbriefe für dich. 50 Briefe in einer Schatztruhe. Du kannst hineingreifen, einen ziehen und – so wird versprochen – er wird dir das ermutigende Wort für den Tag sagen. Mit einem Engelsstempel gibst du deinen Briefen eine persönliche Note und kannst himmlische Grüße versenden. Den Engel der Ruhe, der mit seinen breiten Flügeln einen Menschen im Schlaf schützt, kannst du dir neben dein Bett stellen. Und eine tröstlich stärkende Wirkung wird für dich davon ausgehen. Und in das „Engelsgeflüster“ auf CD mit feinfühligen Liedern und Meditationen kannst du hineinlauschen und Kraft schöpfen für den Alltag.
Lange Zeit außer Mode, sind Engel seit den 80er Jahren wieder zum Träger von religiösen Gefühlen geworden.
Wenn ich auf diesem Hintergrund die Erzählung von der Versuchung Jesu lese, wird mir ganz mulmig. Denn da wird der modische Engelsglaube als teuflisch entlarvt. Da will der Teufel Jesus einflüstern, was eine Gefahr des Engelbooms von heute ist: Mit einem Handschmeichlerengel in der Hand kann dir nichts passieren. Ein baumelndes Engelchen am Autospiegel wird dich vor allem Unglück bewahren. Der Teufel führt Jesus auf die Zinne des Tempels und sagt zu ihm: Stürz dich hinab. Denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten. Und sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.
„Teufelsgeflüster“ – sagt Jesus. Auch wenn du aus den heiligen Schriften Israels zitiert, das hat nichts mit Gottesglaube zu tun. Denn du willst Gott auf die Probe stellen. Du willst, dass Gott so funktioniert, wie du es haben möchtest. Du willst Gott zum Gehilfen deiner Wünsche machen, zum Nigger für deine Sehnsüchte. Du willst mir eine Wattebauschreligion aufschwatzen, die in der Realität des Lebens nicht bestehen kann.
Da ist selbst der redegewandte Teufel sprachlos – und lässt ab von Jesus.
Liebe Leser,
das heutige Evangelium mutet uns einiges zu. Es fordert die Unterscheidung der Geister heraus. Aber es nimmt uns keineswegs die Geborgenheit und den Trost im Glauben. Es macht nur auf den entscheidenden Unterschied aufmerksam: zwischen Glaube und Aberglaube, zwischen Vertrauen und Herausforderung, zwischen „sich Gott in die Hände fallen lassen“ und „Gott diktieren wollen“. Die Versuchungsgeschichte rät dir: Schreib Gott nicht vor, wie er zu handeln hat! Fordere Gottes Hilfe nicht ein, vertrau darauf! Zwing ihn nicht, überlass dich ihm! Wisse, er bewahrt er nicht vor allem, aber glaube: Er bewahrt dich in allem.
Das Lukasevangelium erzählt genau davon: Es schildert, wie einer von Gott getragen wird, ohne dass er es herausfordert. Wie dieser Jesus nicht vor den Steinen des Lebens, aber vor dem Fallen ins Bodenlose bewahrt wird. Es erzählt, wie einer zwar nicht vor Leid, aber vor der Verzweiflung bewahrt wird.
Der Jesus, der sich vom Teufel nicht überreden lässt, den Schutz der Engel herauszufordern, dem erscheint der Engel Gottes in Getsemani und tröstet ihn.


Pfarrer Stefan Mai

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