Fosbury-Flop am Aschermittwoch

Predigt zum Aschermittwoch

Memento mori – Gedenke, Mensch, dass du sterben musst. Diesen Sinnspruch kannten schon die alten Römer. Für die stoischen Philosophen gehörte dieser Rat zu einer bewussten Lebenshaltung.
Die römisch-katholische Kirche hat dafür speziell den Aschermittwoch ausgesucht. Memento mori sagt sie jedem Gläubigen. Und sie hat auch noch ein sprechendes Zeichen dafür: die von der Stirn herabrieselnde Asche, die uns sinnenfällig vor Augen führt: Gedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst.
An den eigenen Tod erinnert zu werden ist keine leichte Sache. Ja, das Sterben ist eine hohe Latte, vor die man aber früher oder später einmal gestellt wird. Die einen versuchen, möglichst lang einen Bogen herum zu machen. Häufig wird versucht, den Gedanken an den Tod bis zuletzt hinauszuschieben. Gespräche über den Tod und Berührungen mit sterbenden Menschen werden so weit wie möglich umgangen. Die anderen sagen: Ach, das hat noch lange Zeit. Bis ins hohe Alter gaukeln sie sich vor: Ich bin noch fit – und für mein Alter noch ganz attraktiv. Und dann sind viele wie gelähmt, wenn sie die Latte „Sterben“ plötzlich vor sich sehen.
Aber der Aschermittwoch will uns sagen: Stell dich darauf ein! Übersieh diese Latte in deinem Leben nicht.
Vielleicht ist der Vergleich von Sterben und Hochsprunglatte auf den ersten Moment ungewohnt. Aber ich meine, wir könnten vom Hochsprung wirklich etwas fürs Sterben lernen.
Es war bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt. „Dick“ Fosbury überquerte erstmals vor einer staunenden Weltöffentlichkeit 2,24 Meter und gewann Olympia-Gold im Hochsprung. Der 21-jährige Amerikaner löste mit seinem Sprung die größte technische Revolution der Leichtathletik-Geschichte aus. Bisher sprangen die Leichtathlethen bäuchlings, mit dem Gesicht auf die Latte fixiert. Fosbury entwickelte eine völlig andere Technik. In einem Bogen nahm er Anlauf und drehte sich beim Sprung nach oben. Er sprang rücklings über die Latte, mit dem Gesicht zum Himmel. Während die Trainer im Olympiastadion Fosburys Flüge mit Kopfschütteln registrierten, begleiteten 80.000 Zuschauer jeden seiner Sprünge mit einem begeisterten „Ole“.
Ich glaube, diese Fosbury-Technik will uns die Kirche heute am Aschermittwoch ans Herz legen: Sterben mit dem Blick zum Himmel. Wissen, es ist ein Gewaltakt, über diese Latte zu kommen. Wissen, das erfordert höchste Anstrengung. Aber auch wissen, ich muss so gut wie möglich im Leben den Blick zum Himmel zu trainieren, damit ich – wenn’s drauf ankommt – beim Sprung über die Sterbelatte nach oben schauen kann.
Und das stelle ich an den Sterbebetten immer wieder fest: Nur die Gebete, die man im Leben geübt hat, nur die Lieder, die einem in Fleisch und Blut übergegangen sind, die kann man auch im Sterben noch mitmurmeln und mitsummen. Nur wenn man diesen Blick zum Himmel in Gebeten und Liedern im Leben trainiert hat, tragen sie einen mit dem Blick zum Himmel auch über die Latte des Sterbens.


Pfarrer Stefan Mai

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