Umsturz der Gesellschaft - nicht nur im Spiel

Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis (Lk 6, 17.10-28)

Eine der Wurzeln unseres Karnevals liegt im römischen Saturnalienfest. Im alten Rom durften sich die Einwohner Roms an diesem Fest zu Ehren des Gottes Saturn verkleiden und in andere Rollen schlüpfen. Die Sklaven und Diener durften einen Tag lang den Herren spielen. Einen Tag lang durften sie auch einmal oben auf sein und Befehle erteilen. Einmal im Jahr wurden sie von ihren Herren an diesem Fest bedient. Sie durften Witze über ihre Herren reißen und sie verspotten, was an anderen Tagen Prügel eingebracht oder gar den Kopf gekostet hätte. Einmal im Jahr wurde die strenge hierarchische römische Gesellschaft im Spiel auf den Kopf gestellt.
Aus dieser Tradition heraus haben sich viele Karnevalsbräuche bei uns entwickelt: Die Menschen schlüpfen in fremde Kostüme und Rollen. Leute aus dem Volk steigen auf die Bühne und kanzeln die Großen aus Politik, Wirtschaft und Kirche ab. Sie rechnen mit allem ab, was sie stört. Auch der Rathaussturm durch die Narren an den tollen Tagen hat seinen Ursprung in diesem alten römischen Fest.

Haben Sie´s gehört: Auch im heutigen Evangelium rechnet ein Narr namens Jesus radikal mit denen ab, die in der gängigen Rangordnung vorne dran stehen und die in den Augen der Menschen das bessere Los gezogen haben. Er kehrt die Rollen um, kehrt das unterste zuoberst:
Selig, ihr Armen.
Selig, die ihr jetzt hungert.
Selig die ihr jetzt weint.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen.
Aber weh euch, die ihr jetzt reich seid.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid.
Weh euch, die ihr jetzt lacht.
Weh euch, wenn euch die Menschen loben.

Jesus rechnet mit denen, die die besseren Karten in der Hand haben, radikal ab. Aber im Gegensatz zum Saturnalienfest nicht nur für einen Tag. Er stellt die Ordnung nicht nur im Spiel auf den Kopf, sondern macht mit diesem Rollentausch Ernst. Die Selig- und Weherufe sind kein Faschingsevangelium, auch wenn es heute auf den Faschingssonntag fällt, sondern ein Wort für den Alltag. Da werden Rollen umgekehrt, gängige Einstellungen auf den Kopf gestellt. Unser natürliches Denken lautet: Es ist gut, reich zu sein, es ist gut, Freude und Genuss zu haben, Macht, Glanz, Ehre zu erzielen. Wenn Jesus die Armen selig preist, dann heißt das nicht, es ist besser arm zu sein. Aber es heißt, dass er gerade die Armen im Blick hat. Reichtum in den Augen Jesu ist nur legitim, wenn er auch für andere eingesetzt wird. Und der Reichtum wird für ihn zum Skandal, wenn er nicht zu einer Perspektive „genug für alle“ beiträgt.
Auf die Spitze wird dieser Gedanke von Jesus getrieben, wenn er im Gleichnis vom klugen Verwalter (Lk 16,9) als Resümee verkündet: „Macht euch Freunde mit dem Mammon der Ungerechtigkeit, damit, wenn es zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Wohnungen.“ Welch ein radikaler Gedanke: Am Ende sitzen die Armen neben Gott und entscheiden darüber, ob die Reichen einmal bei ihm Aufnahme finden.

Liebe Leser,
Gott sei Dank wird uns auch heute noch im Fasching im Spiel ein Umsturz der Gesellschaft vor Augen geführt und so dieser Gedanke an eine gerechtere Welt wachgehalten. Vielleicht aber frage ich mich einmal: Wie würde wirklich unsere Welt ausschauen, wenn diese Umsturzgedanken Wirklichkeit und Ernst würden, woran der Narr Jesus von Nazaret glaubt?


Pfarrer Stefan Mai

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