Gegen die „Schleimspur“

Predigt zum Sebastianitag in Oberschwarzach

Wissen Sie, was ein Bewunderungszwerg ist?
Bewunderungszwerge sind Menschen, die sich im Dunstkreis eines sogenannt Großen ungeheuer wohlfühlen. Die förmlich danach gieren, in seiner Nähe zu sein, aufzufallen, etwas zu gelten. Und danach richten sie ihr Verhalten aus. Sie wetzen sich die Haken ab, um beliebt zu sein. Nach oben immer freundliche Mienen, höchste Dienstbereitschaft. Natürlich ist dies ständig zu Diensten sein oft nicht ganz selbstlos. In der Gunst eines Großen stehen, das hilft, selbst größer zu werden. Das ist oft mit der Hoffnung verbunden, selbst schneller auf der Karriereleiter nach oben zu kraxeln. Sich des Wohlwollens eines Größeren sicher zu sein, steigert das eigene Selbstwertgefühl. Und manchmal hat man den Eindruck, da entwickeln Menschen eine hohe Kunst, dass sie selber auf der eigenen Schleimspur nicht ausrutschen.

Auf diesem Mechanismus basierte das römische Patronatssystem. In hierarchischen Stufen strahlt der Glanz vom Kaiser, der sich seit Augustus der „Erhabene“ nennt, weiter herab auf die Senatoren, wieder auf deren Günstlinge und so weiter und so weiter. In der Nähe eines Großen zu sein, in der Gunst eins Größeren stehen, das bedeutete Sicherheit. Und man durfte sich im Glanz seines Patrons, der verehrt und bewundert wurde, sonnen.

Sebastian hatte in diesem System zur Zeit des Kaisers Diokletian beste Karten. Denn er stand in diesem System in der obersten Riege. Die Legende erzählt: Der junge gutaussehende Sebastian rückte im römischen Militärsystem ungewöhnlich schnell auf und legte eine Musterkarriere hin. Als er von Mailand nach Rom versetzt wurde, gewann der tüchtige Offizier die Aufmerksamkeit des Kaisers und wurde zum Hauptmann der kaiserlichen Leibgarde ernannt. Was wollte er mehr als sich im Dunstkreis des Kaisers zu bewegen und zu sonnen.
Sebastian machte kein Geheimnis daraus, dass er Christ war. Und als sich Kaiser Diokletian von den einflussreichen Kreisen hinreißen ließ, die zehnte Christenverfolgung nach Kaiser Nero anzuzetteln, wurde es für die Christen lebensgefährlich. Wer sich weigerte, vor dem Kaiserstandbild Weihrauch zu opfern, der wurde ins Gefängnis geworfen und in die Arenen zum Kampf gegen die wilden Tiere gezerrt. Die Uniform des Palastoffiziers und die Beliebtheit beim Kaiser schützte vorläufig Sebastian noch. Aber innerlich war er entschieden. Er fuhr nicht auf der Schleimspur, um die eigene Haut zu retten, sondern nutzte ganz bewusst seine hohe Stellung, um in die Gefängnisse zu kommen, in die man die bekennenden Christen geworfen hatte. Sein hohes Amt öffnete ihm die Türen dazu. Immer öfter traf man ihn in den Kerkern, wo er den gefangenen Christen Mut zusprach. Längere Zeit wagten es die Behörden nicht, gegen den kaiserlichen Palastoffizier vorzugehen, obwohl ihnen sein unerschrockener Einsatz für die Christen in den Gefängnissen bekannt war.
Doch endlich bot ihnen Sebastian selber eine willkommene Gelegenheit, um zuzufassen. Als das Brüderpaar Markus und Marcellinus vor dem Richter standen und sich weigerten, dem Kaiser Weihrauch zu opfern, da flehten die Angehörigen die beiden inständig an, ihr Leben doch nicht aufs Spiel zu setzen. Sie waren durch die Bitten und das Weinen ihrer Angehörigen nahe daran, schwach zu werden und das Glaubenbekenntnis zu widerrufen. Da sprang Sebastian vor, sprach ihnen Mut zu und die beiden blieben bei der Verweigerung des Opfers. In den Augen des empörten Richters war dies Aufreizung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt. Und so wurde auch Sebastian abgeführt. Das Ende kennen wir.

Liebe Leser, ich weiß, wir leben in einer anderen Zeit als in der des Diokletian. Aber wie damals ist es für Menschen auch heute unwahrscheinlich verführerisch, sich als Bewunderungszwerg die Karriere nach oben steigen zu wollen. Das Große an Sebastian ist für mich, dass er seine Stellung als oberster Palastoffizier nicht nutzte, um für sich selber Vergünstigungen und Vorteile herauszuschinden. Er nutze sie, um seinen gefangenen Mitchristen eine Stütze zu sein.
Ich bin überzeugt, die glaubwürdigste Verehrung des heiligen Sebastian ist heute, wenn Menschen ihre Stellung nicht egoistisch für sich ausnutzen, sondern kraft ihrer Stellung und ihres Einflusses, sich für andere einsetzen. Den Mann gibt es doch noch, der einen Handwerksmeister als Freund hat und für den Nachbarsbuben, der den Quali nicht geschafft hat, sich aber bemüht und gern Installateur werden möchte, die Hand ins Feuer legt und sagt: „Du, wenn du den Buben als Lehrling nimmst, wirst du es nicht bereuen.“ Es gibt sie noch, die Chefsekretärin, die vollstes Vertrauen ihres Chefs besitzt, die aber nicht kuscht, wie sie mitbekommt, dass dieser ungerechtfertigt die Putzfrau zusammenranzt, und ihn fragt, ob sein Verhalten richtig war. Und es gibt ihn noch, den Mann, der nur eine kleine Unwahrheit über seinen Arbeitskollegen zu sagen bräuchte und er bekäme statt seiner den besser bezahlten Posten. Der sich aber sagt: Dann würdest du nie auf diesem Posten glücklich und könntest deinem Arbeitskollegen nicht mehr in die Augen schauen.

Das ist eine zeitgemäße und glaubwürdige Sebastiansverehrung, die im Leben steht und überzeugt.


Pfarrer Stefan Mai

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