Groß rauskommen oder in die Tiefe gehen?

Predigt zum Fest der Taufe Jesu (Lk 3,15-16.21-22)

Höher - schneller - weiter.
Das ist schon seit der Antike der Olympia-Slogan.
Das ist der Wunschtraum, Ehrgeiz und Ansporn für die Spitzensportler seit der Einführung der Olympischen Spiele. Höher im Hochsprung, weiter im Weitsprung und in allen Wurfdisziplinen und immer schneller auf den Laufstrecken, auf den Rodelbahnen und Skipisten.
Höher - schneller - weiter.
Das ist auch zum beliebten Slogan für viele andere Lebensbereiche geworden: Höhere Aktienkurse, höheres Wirtschaftswachstum, höheres Einkommen. Schnellere Prozessoren in den Computern, schnelleres Internet, schnellere Bahnstrecken und Flugzeuge, immer weitere Reisen.
Hoch hinaus, groß rauskommen, auf der Stufenleiter der Karriere immer nach oben steigen, einfach oben auf sein - wieviele Menschen träumen doch diesen Traum?

Am heutigen Festtag der Taufe Jesu wird uns ein anderes Programm vor Augen gestellt. Das Programm lautet: in die Tiefe!
Da geht Jesus den Weg zum Jordan in der Nähe des Toten Meeres. Das ist ein Weg in die Tiefe. Allein schon von der Geographie her. Der Taufort Jesu liegt an der tiefsten Stelle der Welt. 400 m unter dem Meeresspiegel. An dieser Stelle steigt Jesus hinab in das Wasser des Jordan. Er stellt sich in eine Reihe mit allen, die sich von Johannes taufen lassen wollen. Er fühlt sich nicht hoch erhaben, sondern solidarisiert sich mit allen, die umkehren und neu anfangen wollen. Er stellt sich nicht besserwisserisch über andere, sondern möchte mit den Menschen, die nach Sinn im Leben suchen, auf Augenhöhe sein. Er steigt tief in unser Menschenleben ein. Was hier am Anfang des öffentlichen Auftretens in Bildern ausgemalt wird, das durchzieht das gesamte Wirken Jesu. Sein Platz ist bei denen ganz unten. Sein Platz wird bei denen sein, die mit Ängsten und Belastungen zurecht kommen müssen. Und er wird Menschen an ihren Tiefpunkten und in ihrer Not nahe sein. Und wenn in diesem Moment vom Himmel her der hl. Geist in die Tiefe hinabfährt und die Stimme zu hören ist: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich mein Gefallen!“ ist das wie eine göttliche Bestätigung dieses angetretenen Weges in die Tiefe.

Liebe Leser, mich macht es immer nachdenklich, dass unser deutsches Wort Taufe von „Tiefe“ kommt. Ob unsere deutsche Sprache uns nicht schon damit allein darauf aufmerksam machen will, dass ein Leben aus der Taufe ein Leben mit Tiefgang und ein Weg in die Tiefe sein möchte. Allein vom Wort Tiefe her werden wir Christen daran erinnert, dass der Glaube uns vor einem oberflächlichen Leben bewahren möchte, uns selber tiefer verstehen helfen möchte, uns tief in unsere Gebete einwurzeln lassen möchte und und dadurch einen festen Stand gewinnen lassen möchte. Wer getauft wird, soll auch auf den Gang Jesu in die Tiefe aufmerksam gemacht und eingeschworen werden. Ihm soll klar gemacht werden, dass Lebensglück nicht mit der Höhe der Karriereleiter und des Einkommens identisch ist und dass Menschen nie die „ganz unten“ aus den Blick verlieren dürfen. Und es will mir Hoffnung machen, dass ich in Lebenssituationen, wo ich ganz unten bin, aus dieser Zusage Kraft und Hoffnung schöpfe, die - wie damals Jesus bei der Taufe - auch jedem Getauften heute gilt,: „Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter. An dir habe ich Gefallen gefunden.“


Pfarrer Stefan Mai

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