Der aufmüpfige Jesus

Predigt zum Familiensonntag

Predigt

Es wundert einen schon: Ausgerechnet die katholische Kirche, die nach dem 2. Vatikanischen Konzil im Weihnachtszyklus eigens einen Sonntag für die heilige Familie reserviert, ausgerechnet die katholische Kirche, die das traditionelle Familienideal so hoch hält und gern von heilen Familien träumt, ausgerechnet sie muss sich von der Weihnachtsliturgie familienkritische Texte vorlegen lassen. Heute haben wir eine Episode aus dem Leben des pubertierenden Jesus gehört.
Die berühmten Nazarenerbilder mit ihrem süßlichen Familienidyll, das den braven Jesus in der Werkstatt seines Vaters zeigt, haben ihren Stoff nicht aus der Bibel. Da sind die alten Maler näher dran. Wie z. B. ein Simone Martini, der 1342 ein erstaunliches Portrait der heiligen Familie als Tafelbild gemalt hat.

Wir sehen den 12-jährigen Jesus. Er ist aber nicht dargestellt als der übliche frühreife Bibelkenner, dem Schriftgelehrte im Tempel mit Ehrfurcht und Staunen zuhören, sondern als ein Halbwüchsiger, der ins Gebet genommen wird.
Josef steht in der Mitte und legt seine linke Hand auf Jesu Schulter. Die rechte Hand verdeutlicht, was er sagt: Wie konntest du deiner Mutter so viel Kummer bereiten? Weißt du eigentlich, was sie durchzustehen hatte? Solche Fragen stellt auch Maria, auf deren Schoß ein aufgeschlagenes Büchlein liegt, in dem die Worte zu lesen sind: Kind, wie konntest du uns das antun?
Und Jesus? Er reagiert ganz anders als es sich so manche fromme Seele wünscht. Er versucht nicht, seine Eltern zu besänftigen. Er denkt gar nicht daran, sich dafür zu entschuldigen, dass er ihnen mit seinem Verhalten Sorgen gemacht hat. Nein, er zeigt eine bockige Geste. Er verschränkt seine Arme vor der Brust. Was wollt ihr eigentlich vor mir? Ich gehe meinen eigenen Weg! Ihr braucht mir nicht zu sagen, was ich zu tun habe.
Ich lese im gleichen frommen Buch wie ihr. Hier, ich habe es an meiner Brust. Aber ich lege es anders aus als ihr.
Jesu Gesicht strahlt Entschlossenheit aus. Der Gesichtsausdruck von Josef und Maria dagegen ist völlig hilflos. Sie kommen nicht mit, dass sich ihr Jesus ganz anders entwickelt, als sie es sich gedacht haben. Dass er jetzt so aufmüpfig wird?
In dieser altkirchlichen Tradition gelesen, ist der Familiensonntag kein Anspruch, der überfordert, sondern ein Trost. Er ist ein Trost für alle Eltern, die sich fragen: Warum ist unser Kind so anders als wir es uns erträumt haben?

Fürbitten

Am Fest der Hl. Familie bitten wir dich, Gott, für die verschiedenen Generationen, die in unseren Familien zusammenleben:

– Viele Kinder erleben diese weihnachtlichen Tage als eine besondere Zeit der Freude. Bewahre ihnen die Fähigkeit zum Staunen und schenke ihnen gute Wegbegleiter, die ihre Talente entdecken und fördern.

– Viele Jugendliche tun sich schwer mit diesen weihnachtlichen Tagen und stehen den Familienfeiern skeptisch gegenüber. Lass sie erleben, dass man ihre Kritik ernst nimmt und gib ihnen Gesprächspartner, die offen mit ihnen über den Sinn des Festes diskutieren.

– Viele Eltern haben an diesen weihnachtlichen Tagen mehr Zeit für die Familie. Lass sie diese Stunden genießen und schenke ihnen Ideen, wie sie auch im Alltag Zeiten für Spiel, Begegnung und Gespräch freihalten können.

– Viele ältere Menschen sind in diesen Tagen allein und haben niemanden, mit dem sie die Erinnerungen an früher teilen können. Schenke ihnen gute Menschen, die sie ab und zu besuchen.

– Viele trauern gerade in diesen weihnachtlichen Tagen um verstorbene Familienangehörige. Gib ihnen die Hoffnung und das Vertrauen, dass ihre Lieben bei dir ihre Heimat gefunden haben.


Pfarrer Stefan Mai

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