Die erste Waldweihnacht – oder: Konkurrenz an Weihnachten

Predigt zum Christfest

Einleitung

Was wäre Weihnachten ohne Krippen und Krippenspiele? Keine Kindermette, kaum eine Weihnachtsfeier ohne Krippenspiel. Und fast in jeder Wohnung steht unter dem Baum eine Krippe, egal ob als Wurzel oder als Haus, im Rhöner oder Oberammergauer Stil, in Ton oder in Holz, selbst getöpfert oder ausgesägt. Krippe und Krippenspiele sind an Weihnachten nicht wegzudenken.
Aber das war nicht immer so. Der Mann, der damit angefangen hat, hätte wahrscheinlich nie daran gedacht, dass aus seiner Idee einmal ein Welterfolg wird. Was heute leicht romantisch daherkommt, war aber von der Ursprungsidee her größte Provokation.

Predigt

Seit Jahren erfreut sich die Schweinfurter Waldweihnacht an den Eichen immer größerer Beliebtheit. Tausende von Menschen kommen, um die besondere Stimmung am 4. Adventssonntag mitzuerleben: Die brennenden Baumstümpfe in der Dunkelheit. Singende Kinder. Hautnah Elch, Ochs und Esel. Eine besinnliche Geschichte. Eine geheimnisvolle Atmosphäre: Im Hintergrund der dunkle Wald. Die Menschen im Schein des Feuers. Weihnachtsstimmung in der Natur – pur.
Ich frage mich: Wenn das Forstamt Schweinfurt diese Waldweihnacht auf den Heiligen Abend legen würde, entweder zur Zeit der kirchlichen Kinderkrippenfeiern oder nachts zur Mettenzeit: Wo wären mehr Leute? In den Kirchen – oder an den Eichen? Ich vermute, die kirchlichen Gottesdienste würden scharfe Konkurrenz bekommen.
Das ist schon einmal passiert. 1223. Im Dom von Assisi feiert der Bischof die Weihnachtsmette – umgeben von seinen Chorherren, den Adeligen der Stadt und der Bevölkerung. Aber ein Sohn der Stadt fehlt: Franz von Assisi. Dieses Weihnachten feiert er nicht in einer Kirche. Er hat eine verrückte Idee: die erste Waldweihnacht. Franz von Assisi geht mitten in der heiligen Nacht nach draußen in den Wald. Die Leute folgen ihm in Scharen – auf dem Weg in die Nacht. Jung und Alt, Frauen und Männer, vor allem aber Bauern und Arme. Ein langer Zug mit Fackeln und Kerzen. Ungewöhnlich, was draußen in der Gegend von Greccio geschieht. Mitten im Wald wird ein Stall hergerichtet. Mit einer echten Krippe. Mit Heu und Stroh. Ein Kind wird hineingelegt. Bauern spielen Maria und Josef und die Hirten. Sie haben ihre Schafe dabei. Ochs und Esel stehen an der Krippe. Und Franz von Assisi singt das Evangelium von der Geburt Jesu – und alle kapieren: Der da geboren wird, ist einer von uns. Zeit seines Lebens hat er ein Herz für die kleinen Leuten, für die am Rand stehen, die nichts gelten und sich selbst klein vorkommen.
Und wenn sie das Kind in Heu und Stroh liegen sehen, kapieren sie: Das ist gemeint mit dem großen theologischen Satz: „Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein. Er liegt dort elend nackt und bloß in einem Krippelein.“
Und sie kapieren: Das ist wahre Größe. Verzicht auf Macht und Selbstdarstellung.
Liebe Leser, die Konkurrenzweihnacht des Franziskus hat sich durchgesetzt: Krippen stehen in den Häusern, in den Kirchen, auf den Weihnachtsmärkten. Und wenn Menschen bis heute davon fasziniert sind, dann scheint mir das mehr als bloße Weihnachtsromantik zu sein. Ich glaube, beim Blick in die Krippe da bricht etwas auf von der Sehnsucht nach einer Welt, in der keiner der großen Magger spielt, in der keiner seinen Status heraushängen lässt, in der sich die Menschen nicht aufführen, als wären sie der liebe Gott persönlich. Wo Menschen bleiben, was sie sind: Nichts als Menschen.


Pfarrer Stefan Mai

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