Es kommt ein Schiff geladen

Meditation zur Rorate am 19.12.2009

Einleitung

Die typischen Adventssymbole, die uns vertraut sind, heißen: Stern und Licht, Wurzel und Zweig, Kerze und Kranz. Aber je vertrauter uns Bilder sind, desto verbrauchter werden sie manchmal.
Das Schiff, das im Mittelpunkt des alten Adventslieds „Es kommt ein Schiff geladen“ steht, ist unverbrauchter und ungewohnter als die gängigen Adventssymbole und trägt eine geheimnisvolle Botschaft an Bord. Dieser Botschaft wollen wir heute einmal nachgehen.

Meditation

- Die Orgel spielt leise die Melodie GL 114 -

Eine mittelalterliche schlichte Melodie.
Nicht in Moll oder Dur gesetzt, sondern in dorischer Tonart -
sie wirkt fast zeitenthoben.
Ein besonderer Rhythmus: Die erste Zeile im Drei Viertel Takt.
Die zweite im 4 Viertel Takt

Mir kommt es vor, als ob im ersten Teil tonmalerisch eine Wellenbewegung dargestellt wird, wie ein Schiff auf dem Wasser dahinschaukelt und im zweiten Teil der Melodie ohne Hetze aber doch zielstrebig ans Land kommen will. Vom geheimnisvollen Ufer kommt das Schiff herüber und will landen.

Oder wollte der Komponist mit dem 3/4 Takt auf die göttliche Zahl drei und mit dem 4/4 Takt auf die Symbolzahl unserer menschlichen Welt anspielen? Darauf, dass sich menschliche und göttliche Welt berühren, dass Gott bei den Menschen landen will?

- Die Orgel spielt leise die Melodie GL 114 -

Im Kloster St. Nikolaus in den Wellen, auf der Rheininsel bei Straßburg wurde dieses Lied „Es kommt ein Schiff geladen“ gefunden. Daniel Sudermann hat es im Jahr 1624 bearbeitet und schreibt darüber: „Ein uralter Gesang, gefunden unter den Schriften des Herrn Tauler, etwas verständlicher gemacht.“
Johannes Tauler, der große Mystiker war in diesem Frauenkloster St Nikolaus in den Wellen im 14. Jh. für die Nonnen Spiritual. Über seine große Predigtkunst sagte man: „Gott wohnt in ihm als ein süßes Saitenspiel.“
Dieser Johannes Tauler hat von der Klosterinsel aus die still auf dem Rhein vorüberziehenden Schiffe oft gesehen und im Betrachten dieser Schiffe ein geheimnisvolles Bild für das Kommen Gottes entdeckt:

- 1. und 2. Strophe des Liedes wird gesungen -

Das Schiff ist schwer beladen mit einer „teuren Last“, einem wertvollen Inhalt.
Es fährt von der Welt Gottes herüber auf die Welt der Menschen zu.
Bewegt wird es von der Liebe. Gott hat Sehnsucht nach dem Menschen
Und Maria ist das Schiff, das Jesus in sich trägt. Sie bringt den Sohn vom jenseitigen Ufer Gottes in unsere Welt.

- 3. Strophe wird gesungen -

Das Schiff kommt an, setzt den Anker: Durch Maria wird Gottes Wort Fleisch, bekommt es Hand und Fuß. Will sich auch in uns fest machen und in uns Tiefe gewinnen.

- 4. + 5. Strophe wird gesungen -

„Süßer die Glocken nie klingen und süßes Jesuskind in der Krippe, dazu süß duftende Christstollen und Lebkuchen, vermischt mit süßlichem Duft des Glühweins, ergibt zusammen den süßlich-kitschigen Weihnachtsduftbrei, der mich jedes Jahr in die Flucht schlägt.“ So kommentiert ein deutscher Wissenschaftler die Tatsache, dass er jedes Jahr Weihnachten in der Südsee verbringt.
Von dieser kitschigen Gefühlsromantik ist unser Lied schon allein von der Melodie her weit entfernt. Und auch vom Inhalt her wird klarer Wein eingeschenkt:
Wer dieses Kind gern haben will, muss auch mit ihm leiden.
Da wird Krippe und Kreuz zusammen gesehen.
Da wird klipp und klar gesagt: Der Glaube bewahrt nicht vor allem Leid. Johannes Tauler erlebt die Pestzeit in Straßburg. Allein im Jahr 1348 werden in Straßburg 16.000 Menschen von der Seuche hinweggerafft.
Aber Johannes Tauler will das menschliche Leben in Höhen und Tiefen in Verbundenheit mit Jesus sehen und mit ihm bestehen. Der Glaube bewahrt nicht vor allem Leid, aber in allem Leid, will trotzdem an einen letzten Sinn und an einer großen Hoffnung festhalten.

- 6. Strophe wird gesungen -

Gott will durch Jesus bei mir landen, lassen wir uns diese Botschaft durch dieses alte Lied nochmals in uns hineinspielen.

- Melodie wird noch einmal gespielt -


Pfarrer Stefan Mai

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