Eine freundliche Tür

Predigt zum 2. Adventssonntag 2009 (Nikolaustag)

Predigt

„Wovon werden Sie ihrer Familie zuerst berichten, wenn Sie wieder in Afrika sind?“, fragte der Gastgeber den Mann aus Afrika beim Abschied auf dem Flughafen. Der überlegte nicht lange und lachte: „Von der Tür zu eurem Supermarkt!“
Der Gastgeber war ein bisschen verwirrt, hatte er doch dem Gast aus Tansania vier Wochen lang möglichst viel von Deutschland gezeigt.
„Warum ausgerechnet diese Tür?“ „Das ist ganz einfach“, meinte der Afrikaner, „diese Tür kennt mich und hat sich immer freundlich geöffnet, wenn ich kam.“
Natürlich erklärte ihm der Gastgeber, dass die Tür aufgeht, weil ein kleiner Sensor auf jede Bewegung reagiert.
Aber ist dieser Gedanke nicht wunderschön? „Diese Tür kennt mich und hat sich immer freundlich geöffnet, wenn ich kam.“

Ja, freundliche Türen sind für Menschen ein Geschenk!, oder noch besser gesagt, Menschen, die diese Offenheit, diese Freundlichkeit ausstrahlen. Menschen, die andere empfangen, für andere da sind, Menschen, die einem offen und ehrlich begegnen. Menschen, deren Freundlichkeit nicht gespielt ist, sondern echt und natürlich. Menschen, die für andere ein offenes Herz, offene Ohren und offene Hände haben.
Als ein solcher Mensch par excellence stellt uns die kirchliche Tradition den heiligen Nikolaus vor Augen. Viele Geschichten um seine Person erzählen von seinem offenen und wachsamen Augen für die Not von Menschen, von seinem offenen Herz und seinen offenen Händen.

„Diese Tür kennt mich und hat sich immer freundlich geöffnet, wenn ich kam.“ Solche offene „Tür-Menschen“ wie den heiligen Nikolaus gibt es auch heute noch unter uns:
Eine solche Tür ist doch die Mutter, der es ein höchstes Anliegen ist, daheim zu sein, wenn ihre Kinder vom Kindergarten oder von der Schule nach Hause kommen. Sie ist der Überzeugung. Das größte Geschenk, das ich meinen Kindern im Leben mitgeben kann, ist, dass jemand auf sie wartet und sie freundlich empfängt. Das schenkt ihnen Selbstvertrauen.
Eine solche Tür ist die Erzieherin im Kindergarten, die mir einmal gesagt hat: „Wissen Sie, was für mich das Wichtigste im Kindergarten ist? Das ist der Eingangsbereich an der Tür. Denn wie Menschen empfangen werden, das prägt die Atmosphäre in unserem Haus.“
Eine solche Tür ist der Enkel, der für die Oma, die aus dem Krankenhaus entlassen wird, ein großes Herz an ihre Zimmertüre gemalt hat und die Worte dazu geschrieben hat: „Oma, ich hab so sehr auf dich gewartet. Schön, dass du wieder bei uns bist!“
Eine solch Tür ist der alte Mann, der Tag für Tag in einem abgelegenen Dorf die Tür zur Kirche aufschließt, auch wenn kaum Menschen die Kirche besuchen, weil er der Meinung ist: Gott hält für die Menschen immer die Türen offen.
Und erst gestern hat mir eine alte Frau von zwei solchen unvergesslichen Türen ihres Lebens erzählt. Sie erzählte mir unter Tränen, wie sie an ihrem Hochzeitstag aus dem Elternhaus fortging und ihre Mutter noch einmal ganz bewusst unter der Haustür ihr den Elternsegen gab. Und genauso berührt war sie, als sie dann das Haus ihres Mannes und der Schwiegereltern betrat. Da stand die Schwiegermutter mit offenen Armen unter der Haustür und umarmte sie.

Liebe Leser, vielleicht lassen wir uns vom heiligen Nikolaus diese Frage wieder einmal stellen: Bin ich ein solcher offener Mensch, der mit der freundlichen Tür zu vergleichen ist?
Wenn es Nikolaus nicht schafft, dann bin ich mir sicher, die freundliche Tür beim nächsten Supermarkteinkauf wird Sie daran erinnern!

Fürbitten

Schenke mir offene Ohren, damit ich feine Untertöne in Gesprächen heraushören kann und für die Probleme anderer Menschen nicht taub bin

Schenke mir offene Hände, die nicht krampfhaft festhalten wollen, sondern geben können

Schenke mir offene Augen, damit ich für die Schönheiten des Lebens und die Schwierigkeiten meiner Mitmenschen nicht blind bin

Schenke mir ein offenes Herz, damit ich nicht hart bin, wenn andere mein Wohlwollen und mein Verständnis brauchen

Öffne all unseren Verstorbenen freundlich deine Tür.


Pfarrer Stefan Mai

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