Der Weg zu Gott führt nicht nur durchs Hauptportal

Predigt zum 30-jährigen Priesterjubiläum von Wilhelm Schmitt am 28.11.2009

Gestern Abend machte ich noch einmal meine Mail-Box auf. Da las ich folgende Zeilen:
„Lieber Stefan! Ich wollte Dir meine Gedanken heute noch zusenden (es drängte mich), auch in dem Wissen, dass Du Deine Predigt für den Festgottesdienst von Wilhelm Schmitt bestimmt schon vorbereitet hast.“ - Wenn es nur so wäre! dachte ich mir...dann las ich weiter.
„Ich bin ein ehemaliger Schüler von Wilhelm Schmitt und kenne auch viele andere ehemalige Schüler aus Wilhelms Berufsschulzeit.
Wilhelm war für uns ein Religionslehrer, bei dem der Unterricht – ganz entgegen unserer Erwartungen – nicht langweilig oder verstaubt war. Er kam mit dem Leben ins Klassenzimmer und hat uns immer an der richtigen Stelle gepackt. Und er hat uns beim Namen genannt, er hat uns gekannt – das war nicht selbstverständlich.
Wilhelm hatte für mich einen Wesenszug, der in seinem Leben, ja, der bis heute bei ihm in Gesprächen und Diskussionen spürbar ist: Barmherzigkeit.. Er war immer barmherzig zu uns, nicht nur in der Notengebung, sondern auch bei speziellen Bitten und Anfragen, bei Hochzeiten, bei Taufen, die andere Pfarrer abgelehnt hatten oder kirchenrechtlich irgendwie bedenklich hielten.
Wilhelm stand zu seinem Wort und er hat nie einen von uns Schülern fallen gelassen. Auch wenn er noch so viel Mist gebaut hat. Seine Tür in Alitzheim – und später in Gerolzhofen – stand und steht immer offen. Die Tür – ein beliebtes Thema von ihm, was ja auch auf der Einladung sichtbar ist.“

Lieber Wilhelm, ich glaube auch wie dein ehemaliger Schüler: Du hast die Tür nicht aus einer adventlichen „Macht hoch die Tür-Romantik“ für diesen Gottesdienst gewählt. Du hast das Symbol Tür gewählt, weil es dich selbst anspricht und zu deiner Person passt.

Türen haben dich im Leben geprägt:

Die Tür zu deinem bäuerlichen Elternhaus. Wie oft hast du sie in der Hand gehabt. Und welch ein Segen, dass wir als Bauernkinder immer wussten: Wenn du diese Tür des Elternhauses in die Hand nimmst, dann ist immer einer daheim. Da ist einer da.
Wichtig in deinem Leben waren die Türen der verschiedenen Schulen, angefangen von der Volksschule über die Handelsschule, dem Spätberufenengymnasium in Fockenfeld.
Wilhelm wäre nicht Wilhelm gewesen, wenn es zur Würzburger Zeit neben der Priesterseminartür und den Unitüren nicht die Tür zum Verbindungshaus der Frankoräten gegeben hätte.
Wie oft hast du dann als Lehrer die Türen der Berufsschule in der Hand gehabt, die Tür zum Pfarrhaus in Alitzheim, wie oft bist durch Haustüren in deinen Dörfern gegangen. Die Tür deines alten Mercedes scheint bis heute noch nichts von ihrem Charme verloren zu haben. Und seit etlichen Jahren ist dir deine Haustür in Gerolzhofen bestens vertraut.

Die besondere Botschaft der Kirchentür von Ebertshausen
Sicherlich auch mit ein bisschen Lokalpatriotismus hast du auf die Einladungskarte zu deinem Priesterjubiläum die Tür deiner Heimatkirche gesetzt. Es ist kein großes, mächtiges Portal eines stattlichen Domes. Es ist keine kunstvoll ausgestattete Bronzetür, zu der man ehrfürchtig hinaufschreitet, nein es ist eine schlichte Holztür eines kleinen Dorfkirchleins. Und das besondere an dieser Tür in Ebertshausen ist, dass sie nicht wie die großen Portale der Dome von hinten direkt den Blick nach vorne frei geben und zum würdevollen Schritt in erhebenden Pontifikaleinzügen einladen.
Die Eingangstür in die Kirche von Ebertshausen ist eigentlich eine Seitentür, eine Tür von der Seite her. Wenn du sie öffnest, schaust du erst einmal auf das gegenüberliegende Fenster, früher einmal die Tür zum Friedhof hinaus. Wenn du Richtung Altar gehen willst, musst du erst einmal eine Drehung machen. Eine Seitentür als Eingangstür - das hat für mich eine besondere Botschaft!

Vor über 30 Jahren schrieb der polnische Priesterpoet Jan Twardowski ein Gedicht mit dem Titel: Wo ist der Weg zu Dir? Es lautet:

Wo ist der Weg zu Dir?
Geht er nur durch das Hauptportal
mit den Heiligen
in weißen Kragen,
die das Ausweispapier
mit dem Stempel auf sich tragen?
Vielleicht geht’s auch von der anderen Seite,
querfeldein,
ein bisschen auf Umwegen, hintenrum,
durch Gehölz der neugierigen Verzweiflung,
durch den Wartesaal zweiter und dritter Klasse,
mit der Fahrkarte in der anderen Richtung,
ohne Glauben, nur mit der Güte
als blinder Passagier,
durch den Notausgang,
mit dem Reserveschlüssel
von der Mutter Gottes persönlich,
durch lauter Hintertüren,
die ein Dietrich öffnet,
auf der Straße der Nichtauserwählten,
auf armseligen, närrischen Weglein,
von jedem Ort aus, von wo Du rufst, mit nie erstorbenem Gewissen.


Ich glaube Wilhelm, das war auch in deinem priesterlichen Leben die Erfahrung. So sehr wir unsere Kirche lieben, der Weg zu Gott führt nicht nur auf kirchlich konstruierten Autobahnen zu Gott, nicht nur durch das offizielle Hauptportal unserer schönen großen Kirchen und kirchlicher Lehrgebäude. Nein, der Weg zu Gott kommt oft von der anderen Seite, querfeldein, auf Umwegen, hintenherum, durch das Gehölz der Verzweiflung. Manchmal sogar ohne Glaube, nur mit gelebter Güte. Den Weg zu Gott finden Menschen auch durch Hintertüren, auf armseligen, närrischen Weglein. Der Weg zu Gott führt eigentlich von jedem Ort aus zu ihm. Denn Gott findet selbst den Weg zum Menschen durch das Klopfen des menschlichen Gewissens.

Wilhelm, von deinem beruflichen Werdegang warst du selbst nach deiner Zeit als Autokaufmann ein Seiteneinsteiger in die Theologie. Zu deiner aktiven Zeit war es dir stets ein Anliegen, auch Menschen durch die Seitentüre zu Gott zu führen. Du hast schon immer gern die Türen, wo die Menschen leben, in die Hand genommen hat und standst nicht nur wartend am Hauptportal der Kirche. Und auch die Tür deines Pfarrhauses in Alitzheim und deines Hauses in Gerolzhofen hast du nie verbarrikadiert.

Vielleicht ist es jetzt als sogenannter Pensionist deine besondere Chance und auch deine besondere Aufgabe, dieses dir angeborene Charisma ganz bewusst auszuleben, Menschen durch die Seitentüre zu Gott hinzuführen:
In der Begegnung mit Menschen beim Plaudern nach dem Gottesdienst oder beim Einkauf auf den Straßen, beim Ansprechen von Menschen auf Spazierwegen im Steigerwald, beim sonntäglichen Mittagessen beim „Schmittla“, beim Plantschen im Geomaris, im Kontakt mit ehemaligen Schülern, die dich besuchen oder mit einem Anliegen zu dir kommen.

Die Tür deiner Heimatkirche erinnert dich stets daran: Der Weg zu Gott geht nicht nur durchs Hauptportal.
Als Pfarrer unserer großen Pfarreiengemeinschaft danke ich dir vor allem für diesen Türöffnerdienst der Seitentüren und wünsche dir, dass du selbst manchmal schmunzeln und staunen kannst, welche Wege und Türen Gott heute Menschen zu ihm finden lässt.


Pfarrer Stefan Mai

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