Heiligenschein out?

Predigt zum Allerheiligenfest 2009

Wie sich im Leben so vieles verändert, verändert sich auch die Sprache. In einer wissenschaftlich geprägten Zeit, in einer Zeit der modernen Kommunikationsmittel, schaut der Wortschatz der Menschen anders aus als zu einer Zeit, in der die meisten als Bauern oder Handwerker gearbeitet haben. So wurde vor ein paar Jahren in einem Wettbewerb nach dem schönsten Wort gefragt, das in Vergessenheit geraten ist und kaum noch verwendet wird. Über 3000 Vorschläge wurden eingereicht. Begriffe wie Labsal, Augenstern, hold, Backfisch, hanebüchen waren darunter. Auf den ersten Platz kam das Wort Kleinod.
Der Dichter Hans Magnus Enzensberger befasst sich auch einmal mit einem Wort, das kaum mehr in den Mund genommen wird und vom Aussterben bedroht ist. Sein Wort heißt „Nimbus“, Heiligenschein. Ihm widmet er sein Gedicht:

Nimbus

Auch eines von diesen Worten,
die sich davongemacht haben, lautlos,
„Nebelhülle der Götter auf Erden.
Strahlenglanz“.

Nur unter Meteorologen
fällt es noch gelegentlich,
wenn tiefhängende Regenwolken
über die Chemiesteppe ziehen.

An solchen Tagen geh ich gern
ins Museum, oder im Hochsommer,
in eine Kirche, wo es kühl ist,
und betrachte ungläubig

die Heiligenscheine


In einer Welt der Messbarkeit, des naturwissenschaftlichen Experiments hat sich dieses Wort Nimbus, Heiligenschein, lautlos davongemacht. Es existiert zwar noch für Spezialisten als wissenschaftlicher Begriff: Nimbus als Fachbegriff für Wetterfrösche für „tiefhängende Regenwolken“. Aber der Heiligenschein ist out. Der Dichter gibt zu, obwohl ungläubig, geht er an solchen tristen Tagen mit tiefhängenden Wolken gern in Museen und Kirchen und schaut die Heiligenscheine der Heiligen an.
Ja, die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen die Heiligenfiguren schon von ferne an ihren Attributen erkannt haben, in denen Namenspatrone für viele geheime Vertraute waren, mit denen man still sprach und denen man nacheifern wollte. Der Heiligenschein hat seinen Reiz verloren und wird vielmehr im umgedrehten Sinn als verächtliches Schimpfwort im Wort „scheinheilig“ benutzt. Und dennoch gibt der Dichter zu:

An solchen Tagen geh ich gern
ins Museum, oder im Hochsommer
in eine Kirche, wo es kühl ist,
und betrachte ungläubig

die Heiligenscheine


Ich frage mich: Steckt dahinter nicht die Sehnsucht, dass etwas Geheimnisvolles, Tröstliches, Wegweisendes und auch ein Stück Glanz von den Frauen und Männern mit den Heiligenscheinen ausstrahlt? Dass in einer Welt der Berechenbarkeit, der knallharten Fakten und Zahlen noch etwas vom Geheimnis Gottes über diese Heiligenscheine ausstrahlt?
Und wir spüren doch alle, wie wohltuend Menschen sind, die auf uns eine positive Ausstrahlung haben. Wir spüren, dass allein durch ihr Dasein Sicherheit da ist. Wir spüren, dass manche Menschen eine ungeheure Ruhe ausstrahlen. Unvergesslich bleibt mir, wir der verstorbene Weihbischof Alfons Kempf einmal auf einer Krankenhausseelsorgertagung von einem Besuch bei einem alten kranken Pfarrer erzählt hat. Viel haben sie nicht miteinander gesprochen. Als er aber wieder gehen wollte, da ergriff der Kranke seine Hand und meinte: „Alfons, bleib doch noch e weng da, du strahlst eine solche Ruhe aus!“ Danach sehnen wir uns doch alle, dass von Menschen etwas heilendes auf uns ausstrahlt und übergeht.

Liebe Leser,
am Allerheiligentag möchte ich mich wieder einmal daran erinnern lassen, dass von Heiligen mit ihren Heiligenscheinen und von Menschen, die zu meinem Leben einfach dazugehören, etwas Heilendes auf mich ausstrahlen kann. Und ich möchte mir auch wieder einmal sagen lassen, was ein altes volkstümliches Gedicht formuliert:

Nur die Heiligen heilen die Welt.
Durch die Eiligen wird sie entstellt,
durch die Hassenden wird sie zerstört,
durch die Prassenden eitel entleert!
Die nur Tüchtigen retten sie nicht,
und die Süchtigen löschen ihr Licht.
Die still Tragenden bauen das Haus,
die Entsagenden schmücken es aus!
Die Gott Dienenden segnen die Zeit,
und die Sühnenden tilgen das Leid.
Dich zu beteiligen bist du bestellt.
Tritt zu den Heiligen! Heile die Welt!


Pfarrer Stefan Mai

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