„Selig, die Frieden stiften“ (Mt 5,9)

Predigt zum Weltmissionssonntag 2009

„Selig, die Frieden stiften“.
Wenn wir das Motto des diesjährigen Weltmissionssonntags hören, dann denken wir meist an große Auszeichnungen wie den Friedensnobelpreis oder den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Wir denken an große Namen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Teresa von Kalkutta. Wir debattieren darüber, ob Barack Obama würdig ist, nach wenigen Monaten im Amt den Friedensnobelpreis zu verdienen, ob seine charismatische Persönlichkeit denn den Friedensprozess auf der Welt und die atomare Abrüstung weitertreiben kann, wie es sich die Verleiher des Nobelpreises erhoffen.
Diese großen Namen sind uns allen bekannt. Aber wer kennt schon die Namen all derer, die vor 20 Jahren mit Kerzen und Gebeten und friedlichen Kundgebungen begonnen haben – und dann das DDR-Regime tatsächlich in die Knie gezwungen haben?
Und wer denkt schon an die afrikanischen Kirchen, auf die der Weltmissionssonntag das Interesse lenken will? Mit welcher Energie versuchen diese Kirchen nach Wegen, wie sie ihren Dienst an der Versöhnung, an Frieden und Gerechtigkeit in ihren von Gewalt und Terror erschütterten Ländern erfüllen können. Und wer denkt schon an die vielen kleinen Friedensstifter wie auf dem Plakat von Missio: Da legt ein afrikanischer Priester um ein verängstigtes Kind seine Hand. Eine Geste, die mehr sagt als Worte.

Es ist klar, Strukturen für Gerechtigkeit und Frieden müssen von der Politik, von den Großen gelegt werden, sie werden aber nie entstehen können und greifen, wenn nicht unten, ganz im kleinen Menschen Friedensgeschichten selbst erleben und anderen erleben lassen. Eine solche Geschichte erzählt Astrid Lindgren, die sie von einer alten Dame einmal gehört hat. Und für Astrid Lindgren wurde diese Geschichte ein Wegweiser bei der Erziehung ihrer Kinder.

„Ich war noch jung zu jener Zeit,“ erzählte die alte Dame, „als fast alle Kinder oft geschlagen wurden. Man hielt es für nötig, sie zu schlagen, denn sie sollten artig und gehorsam werden. Alle Mütter und Väter sollten ihre Kinder schlagen, sobald sie etwas getan hatten, von dem Väter und Mütter meinten, dass es Kinder nicht tun sollten. Mein kleiner Junge, Johan, war ein artiger und fröhlicher Kerl, und ich wollte ihn nicht schlagen. Aber eines Tages kam die Nachbarin zu mir herein uns sagte, Johan sei in ihrem Erdbeerbeet gewesen und habe Erdbeeren geklaut, und bekäme er jetzt nicht seine Schläge, würde er wohl ein Dieb bleiben, sein Leben lang.
Mit Müttern ist es nun einmal so, dass ihnen angst und bange wird, wenn jemand kommt und sich über ihre Kinder beschwert. Und ich dachte: „Vielleicht hat sie recht, jetzt muss ich Johan wohl eine Tracht Prügel verpassen.“
Johan saß da und spielte mit seinen Bausteinen - er war ja damals erst fünf Jahre alt - , als ich kam und sagte, dass er nun Prügel bekäme und dass er selbst hinausgehen solle, um eine Rute abzuschneiden. Johan weinte, als er ging. Ich saß in der Küche und wartete.
Es dauerte lange, bis er kam, und weinen tat er noch immer, als er zur Tür hereinschlich. Aber Rute hatte er keine bei sich. „Mama“, sagte er schluchzend, „ich konnte keine Rute finden, aber hier hast du einen Stein, mit dem du auf mich werfen kannst!“ Er reichte mir den Stein, den größten, der in seiner kleinen Hand Platz fand.
Da begann auch ich zu weinen, denn ich verstand auf einmal, was er sich gedacht hatte: Meine Mama will mir also weh tun, und das kann sie noch besser mit einem Stein. Ich schämte mich. Und ich nahm ihn in die Arme, wir weinten beide soviel wir konnten, und ich dachte bei mir, dass ich niemals, niemals mein Kind schlagen würde.
Und damit ich es ja nicht vergessen würde, nahm ich den Stein und legte ihn in ein Küchenregal, wo ich ihn jeden Tag sehen konnte und da lag er so lange, bis Johan groß war.
Dieb wurde aus ihm keiner. Das hätte ich gerne meiner Nachbarin erzählen mögen, aber sie war schon lange fortgezogen.“


Und Astrid Lindgren zieht daraus den Schluss: Menschen, die selbst geschlagen werden, werden selbst zu „Menschen, die gerne selber andere schlagen und weitermachen damit, wenn sie groß sind. Denn wie sollte einer, der sich als Kind an Gewalt gewöhnt hat, zu einem friedlichen Menschen heranwachsen. Und wie soll es Frieden geben in einer Welt, wenn es keine friedlichen Menschen gibt? Zu Hause, in den Wohnungen, da muss der Friede beginnen...“


Pfarrer Stefan Mai

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