„Suchst du Gott, dann such ihn unten!“

Predigt zur Sternwallfahrt der Pfarreiengemeinschaft „St. Franziskus am Steigerwald“ zur Franziskusstatue in den Weinbergen von Wiebelsberg am 3. Oktober 2009

In einer Stadt in Russland lebte ein jüdischer Rabbi. Von diesem Rabbi erzählten sich die Leute, dass er jeden Morgen vor dem Frühgebet zum Himmel aufsteige. In der gleichen Stadt wohnte ein Mann, der lachte darüber. „Ich werde den ganzen Schwindel aufdecken“, sagte er. Und er legte sich frühmorgens noch vor Sonnenaufgang beim Haus des Rabbi auf die Lauer.
Und tatsächlich, ganz früh am Morgen verließ der Rabbi sein Haus. Er hatte sich als Holzknecht verkleidet und ging in den nahegelegenen Wald. Der Mann folgte ihm vorsichtig und beobachtete genau, was der Rabbi tat. Der fällte Holz und packte es in Stücke, er lud sich das Holz auf den Rücken und schleppte es in das Haus der armen Frau. Die war alt und krank. Der Mann spähte vorsichtig durch das Fenster. Da sah er: Der Rabbi kniete auf dem Boden und machte den Ofen an.
Als er in die Stadt zurückkam, fragten ihn die Leute: „Na, hast du den Schwindel aufgedeckt? Was ist denn nun dran an der täglichen Himmelfahrt des Rabbi? Der Mann antwortete ganz beschämt: „ Der Mann steigt noch höher als bis zum Himmel.“


Gott und sein Himmel, das ist für viele da oben, weit weg. In der Legende riecht der Himmel nach Rauch, ist ganz nah, ganz unten. Diese Legende bringt es überspitzt auf den Punkt: Wenn du Gott suchen willst, dann such ihn nicht nur im Gebet, in der Liturgie, in Meditationen und frommen Schriften. Suchst du Gott, dann such ihn unten!

Auch Franz von Assisi fand Gott unten. Er war der verwöhnte Sohn des reichen Tuchhändlers Pietro Bernadone aus Assisi. Er gehörte zu den oberen Zehntausend dieser Stadt, die Geld hatten. Er wollte nach oben, wollte Karriere machen, wollte Ritter werden. Aber auf dieser Spur fand er Gott nicht. Er fand ihn, als er nicht nur wörtlich, sondern auch im übertragenem Sinn vom „hohen Ross“ herunterstieg, auf den Aussätzigen zuging, ihn umarmte und küsste. In diesem Augenblick fand er ihn, unten, am Boden, bei den einfachen Leuten. „Pedester non equester“. Zu Fuß, auf gleicher Augenhöhe dem Menschen begegnen, nicht hoch zu Ross, das wird in Zukunft der Seelsorgestil des Mannes aus Assisi sein.

Dieser Franziskus fand Gott auch nicht im funkelnagelneuen Dom von Assisi mit der romanischen Darstellung Jesu als Weltenherrscher, der wie ein König zwischen Sonne und Mond thront. Nein, in dem kleinen zerfallendem Landkirchlein San Damiano geht ihm vor dem Kreuz, das Christus nackt am Kreuz zeigt, auf, was Gott von ihm will. Er wollte von nun an seinen Lebensstil nach dem ausrichten, von dem es heißt: „Obwohl er Gott gleich war, hielt er nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zu Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,6-8) Und Franziskus wechselt nun seinen Platz. In Zukunft wird er bei den Menschen am Rande der Stadt und bei den Menschen ganz unten zu finden sein.

„Suchst du Gott, dann such ihn unten!“ - Das ist eine zentrale Botschaft des Patrons unserer Pfarreiengemeinschaft. Zum Franziskus-Bildstock in den Weinbergen von Wiebelsberg sind wird heute von Gerolzhofen, von Oberschwarzach und Schallfeld aus gewallt und schauen auf zum Patron unserer Pfarreiengemeinschaft. Franziskus schaut in dieser Statue nicht verklärt zum Himmel. Nein, er schaut von hier oben nach unten. Und dort unten leben die Menschen. Was heißt das anderes als: „Suchst du Gott, dann such ihn unten!“

Die Anregung zu dieser Predigt verdanke ich Heribert Arens, Suchst du Gott, dann such ihn unten, S. 25-36


Pfarrer Stefan Mai

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