Ein raffinierter Psychotest für Karrieregeier

Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (Mk 9,30-37)

Wie verhalten Sie sich, wenn Sie in einer Runde zusammensitzen und da wird von großen Reiseerlebnissen erzählt. Für Sie sind die Städtenamen aber Schall und Rauch und Sie wissen gar nicht, wo die Städte eigentlich liegen. Tun Sie dann so, als wüssten Sie Bescheid oder könnten da mitreden. Haben Sie dann Hemmung, es zuzugestehen, dass Sie keine Ahnung haben, aus der Angst heraus, sich eine Blöße zu geben?
Wie verhalten Sie sich, wenn in gebildeten Kreisen über das neueste Buch von Eric-Emmanuel Schmitt oder über den Kommentar in der Süddeutschen diskutiert wird, Sie aber nicht informiert sind. Sagen Sie dann einfach, tut mir leid, da kann ich nicht mitreden oder versuchen Sie sich da irgendwie unbemerkt und elegant aus der Schlinge zu ziehen, um sich nicht zu blamieren?

Wer gerne zu den Gebildeten, Einflussreichen, Großen oder gesellschaftlich gehobeneren Schichten gehören möchte, der meint oft, alles wissen zu müssen, alles können zu müssen, alles sofort kapieren zu müssen und überall mitreden zu müssen. Nachfragen allein könnte schon den Eindruck erwecken, dass ich nicht „up to date“ oder nicht kompetent bin. Und das könnte schon ein Nachteil im gesellschaftlichen Ranking sein.

Im Evangelium begegnen uns heute solche Typen. Eigentlich sind sie von Natur her einfach gestrickt. Keine besonders einflussreichen Leute, nicht aus der gehobenen Bildungschicht. Aber - sie wollen groß sein. Sie streiten unterwegs darüber, wer von ihnen der Größte ist. Sie haben Karriere im Sinn, wollen groß heraus kommen. Raffiniert, wie der Evangelist Markus sie schildert. Er erzählt nämlich, dass ihr Lehrer Jesus ihnen eine Lehre erteilen will. Aber diese 12 verstehen nicht den Sinn seiner Worte. Und dann fügt er ausdrücklich hinzu: „Sie scheuten sich jedoch, ihn zu fragen.“
Weil sie selbst groß sein wollen, weil sie keine Schüler mehr sein wollen, weil sie nicht mehr zugeben können, sie hätten etwas nicht verstanden, um sich voreinander keine Blöße zu geben, fragen die Jünger nicht mehr nach, tun so, als wüssten sie es. Was könnten schließlich die anderen denken!
Und da knallt ihnen Jesus einen Satz vor den Latz: Lächerlich, meint er, mit eurem großen Getue. Echte Größe schaut ganz anders aus. Echte Größe heißt Größe zum Dienen und nicht Ehrgeiz zu glänzen, alles wissen und können zu müssen. Und er ruft ein Kind in ihre Mitte und stellt es als Vorbild vor Augen. Die Sorge um die eigene Person hatte verhindert, dass die Jünger verstehen konnten, was Jesus ihnen als entscheidende Lebenslehre mit auf den Weg geben wollte. Am Kind sollten sie jetzt kapieren, ein Kind fragt von Natur her einfach nach. Ein Kind fragt ohne Bedenken und gibt einfach zu, dass es nicht alles weiß. Ein Kind fragt sich durch zum Leben, ohne Angst zu haben, an Bedeutung zu verlieren, wenn es noch nicht alles weiß.

Liebe Leser,
wenn ich Jesus richtig verstehe, gibt es für uns alle einen einfachen Selbsttest, wenn ich wissen möchte, ob ich ein solcher Karrieretyp bin, der in Konkurrenzdenkschienen fährt. Die Testfrage lautet: Kann ich noch Fragen stellen ohne Bedenken und ohne Angst im Nacken: Jetzt verliere ich an Bedeutung? Kann ich mit Fragen zugeben, dass ich nicht alles weiß, dass ich nicht überall der Beste und Klügste bin, dass ich noch in vielen Dingen am Lernen bin?

Wenn ich das Evangelium richtig verstehe, vertritt es die Überzeugung: Wo ungesehen gefragt werden kann, wo mit Fragen ohne Scheu zugegeben werden kann, dass ich nicht alles weiß und kann, da wird Konkurrenz- und Herrschaftsdenken aufgebrochen, werden Barrieren zwischen Großen und Kleinen abgebaut, wächst ein menschliches Klima. Da wächst die Herrschaft Gottes, wo Menschen sich nicht größer gebärden und wichtiger tun müssen als sie in Wirklichkeit sind. Da spielen sich Menschen nicht als Damen und Herren Gottes auf, sondern verstehen sich als Kinder Gottes.


Pfarrer Stefan Mai

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