Ein Song - ein Kinofilm: „Wir sind Allein“ oder „Zusammen ist man weniger allein...“?

Predigt zum Dreifaltigkeitsfest 2009

Einleitung

Bis heute wird in der Spessartgemeinde Ebersbach noch von der berühmten Dreifaltigkeitspredigt von Pfarrer Väth erzählt, der 36 Jahre lang bis zum Jahr 1970 in dieser Gemeinde war. Jedes Jahr hielt er sie zum Dreifaltigkeitssonntag. Sie lautete: „Das Geheimnis des dreifaltigen Gottes ist so groß und so tief, dass es selbst euer Pfarrer nicht versteht. Darum fällt heute die Predigt aus - im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Obwohl auch ich die dogmatische Tiefe dieses Festes nicht verstehe, versuche ich trotzdem, einen kleinen Zugangsweg zum Verständnis der Vorstellung der Dreifaltigkeit vom Leben her zu eröffnen.

Predigt

Die Kunst-, Literatur-, Film- und Musikszene sind für mich immer ein Seismograph unserer Gesellschaft. Gute Künstler, Filmregisseure, Dichter und Liedermacher spüren sehr feinfühlig die Strömungen unserer Gesellschaft. Sie erspüren frühzeitig, was die Menschen umtreibt, welche tiefen Sehnsüchte in den Menschen vergraben sind, wo die Chancen und Gefährdungen einer Zeit liegen. Für mich ist es kein Zufall, dass in diesem Jahr sich ein großer Song und ein großer Film sich mit dem Thema „Allein sein“ beschäftigt haben.

Wochenlang stand in den deutschen Charts ein Song der Dresdener Gruppe Polarkreis 18 auf Platz 1. Er hat den Titel: „Allein - Allein - Wir sind Allein“. „Wir sind allein, allein, allein, allein, allein, allein, allein, allein, allein“ - gleich acht Mal schreien die sechs weiß gekleideten Bandmitglieder es aus sich heraus. Auf dem Videoclip der Gruppe Polarkreis 18 rennt bei diesem Refrain ein Mann allein auf dem Berggrat endloser skandinavischer Felsenlandschaften. Und bei Konzerten grölen Tausende von jungen Menschen diesen einhämmernden Refrain laut mit.
Daran wird doch klar: dieses Lied spricht vielen Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen aus dem Herzen. Das Gefühl allein zu sein hat viele Gesichter: Wenn Kinder von der Schule nach Hause kommen und niemand empfängt sie. Sie machen den Kühlschrank auf und sitzen dann allein am Tisch. Wenn Jugendliche völlig auf sich allein gestellt sind. Wenn für manche schon der Gedanke an das Wochenende oder Feiertage zur reinsten Qual wird. Wenn an der Klingel der alten 85- jährigen Frau niemand mehr klingelt und sie im Briefkasten nur noch die Zeitung, Rechnungen und Werbung findet.

Anders geht der Kinofilm „Zusammen ist man weniger allein“ das Thema an:
Ein altes Mietshaus in Paris. Der Putz bröckelt und es zieht. In der Küche ein abgelaufener Boden, ein paar Möbel – und in der Mitte ein weißer Küchentisch. An dem sitzen vier Menschen beisammen. Vier skurrile Typen. Vom Leben zufällig zusammengewürfelt zu einer Lebensgemeinschaft auf Zeit. Da ist Camille, eine junge, zerbrechlich wirkende Frau mit Zeichentalent. Sie kämpft mit Magersucht und bestreitet ihr Leben als Putzfrau. Neben ihr Philibert. Er stammt aus einem alten Adelsgeschlecht, trägt ständig Fliege und ist äußerst höflich. Er verkauft zwar bloß Postkarten, doch träumt er von einem Leben als Schauspieler, aber er stottert. Gegenüber sitzt Frank, ein leidenschaftlicher Koch, doch ständig schlecht gelaunt. Der Grund: Mit seinem Traum, ein eigenes Restaurant aufzumachen, wird es nichts.
Die vierte im Bunde ist Franks über alles geliebte Großmutter Paulette. Nach einem Oberschenkelhalsbruch ist sie ständig auf Hilfe angewiesen. Vier ganz eigensinnige Persönlichkeiten, aber sie finden in dieser kleinen WG Wege zu- und miteinander und leben es vor: Zusammen ist man weniger allein. Dieser Film erzählt von der Last des Alleinseins und der großen Sehnsucht, zu jemanden zu gehören; und er erzählt auch, wie es bei den vieren gelingt: Die zarte Camille zeichnet Porträts von den anderen und hilft ihnen, sich schön zu finden und sich selbst zu achten. Der verkappte Schauspieler Philibert bringt die vier zum Lachen. Frank verzaubert sie mit köstlichen Speisen. Und die Oma Paulette ist einfach liebenswert und kann gut zuhören.

Dieser Film „Zusammen ist man nicht allein“ führt einfach vor Augen: Die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist uns Menschen ins Herz gelegt. Wir brauchen das Gefühl, dazu zu gehören. Wir brauchen vertraute Menschen, gemeinsames Essen, gute Gespräche und dieses Gefühl: da ist jemand, der sich um dich kümmert und um den ich mich kümmern kann. Und wenn es gelingt, Leben miteinander zu teilen, dann steht das Leben unter einem guten Stern.

Liebe Leser,
die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist uns ins Herz gelegt. Und ich frage mich: Hat nicht Gott selbst diese Sehnsucht in unser Herz gelegt? Dieser Gott, der unserer christlichen Vorstellung nach selbst Beziehung ist. Dass die christliche Tradition uns Gott vorstellt als Vater, Sohn und Heiligen Geist, heißt doch: Gott selbst ist Beziehung und liebt die Beziehung. Er sucht auch die Beziehung zu uns Menschen, hat Interesse an der Welt. Er lässt sich von uns ansprechen. Ihn berühren die Bitten, die Klagen, die verzweifelten Schreie von Menschen. Er macht sich Gedanken über uns und sucht unser Gegenüber.
Und ich bin mir sicher: Dieser beziehungsfreudige Gott hat seine Freude daran, wo Menschen im Kleinen und Großen, unter schwierigen Bedingungen und guten Voraussetzungen zu leben versuchen, was Camille, Philibert, Frank, und Paulette getan haben: „Zusammen ist man weniger allein“ oder wie der Originaltitel in der französischen Fassung heißt: „Gemeinsam, das ist es!“

Die Anregung zu dieser Predigt verdanke ich Jacqeline Barraud-Volk, Evangelische Morgenfeier auf B 1 vom 07.06.2009


Pfarrer Stefan Mai

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