Es gibt Zeiten …

Predigt zum Karfreitag

Einspielen: Mensch Jesus - Nr. 17 (3:09)


Die Behindertenwerkstätte in Eisingen reist seit einiger Zeit mit ihrem Passionsspiel „Mensch Jesus“ durch Deutschland, Italien und die Schweiz. Es ist ein Passionsspiel der besonderen Art. Mit selbst angefertigten Masken stellen die behinderten Schauspieler pantomimisch die Passionsszenen dar. Es wird kein einziges Wort gesprochen. Sie werden nur von Klezmer-Musik begleitet. Wir haben einen Ausschnitt daraus gehört.
Die Geburtsstunde dieses Spiels liegt in einem Krankenzimmer. Krebs war die Diagnose für den Regisseur des Passionsspiels, Viktor Reinhold. Er konnte die meisten Aufführungen noch miterleben. Vor 6 Wochen ist er gestorben. Im Begleitheft zu seinem Passionsspiel schreibt er: „Die Entstehung des Passionsspiels ‚Mensch Jesus’ war für mich eng mit der Auseinandersetzung von Krebs, Leid und Tod verbunden. Während meiner Krankenhausaufenthalte hatte ich viel Zeit über das Leben, den Tod, die Bedeutung und den Sinn einer solchen Prüfung nachzudenken.“ Ein Text hat ihn in dieser Zeit besonders bewegt. Er fiel ihm kurz vor Weihnachten 2006 in die Hände. Es ist ein Text des berühmten, inzwischen alt gewordenen evangelischen Theologen und Pfarrers Jörg Zink. Der Text beschäftigt sich mit der Frage: Was zählt am Ende im Leben? Der Text lautet:

Es gibt Zeiten in unserem Leben,
in denen es wichtiger ist,
geduldig zu sein als tüchtig,
besser Schmerzen gewachsen zu sein
als zu arbeiten,
nötiger sich in andere zu fügen
als zu befehlen,
die Einsamkeit einer Nacht auszuhalten
als am Tage mitzureden.
Und eben diese Zeiten,
die uns so fremd geworden sind, sind es,
in denen sich zeigt,
wer wir in Wahrheit sind.
(Jörg Zink)


Liebe Leser, der Evangelist Johannes zeigt Jesus in seiner Passion als einen solchen Menschen:
der selbst bedroht wird – und sich trotzdem schützend vor andere stellt;
der völlig ohnmächtig der Macht eines anderen Menschen ausgeliefert ist – und dabei ungebeugt bleibt;
der niedergemacht wird – und trotzdem Stärke zeigt;
der zu Ende gebracht wird – und der selbst darin die „Vollendung“ sieht;
der von seiner Mutter und seinem Freund betrauert wird – und der ihnen im eigenen Sterben noch Trost zuspricht.

Einspielen: Mensch Jesus - Nr. 17 (3:09) – in die Musik sprechen:


Ja, es gibt Zeiten in unserem Leben,
in denen es wichtiger ist,
geduldig zu sein als tüchtig,
besser Schmerzen gewachsen zu sein
als zu arbeiten,
nötiger sich in andere zu fügen
als zu befehlen,
die Einsamkeit einer Nacht auszuhalten
als am Tage mitzureden.
Und eben diese Zeiten,
die uns so fremd geworden sind, sind es,
in denen sich zeigt,
wer wir in Wahrheit sind.
(Jörg Zink)


Pfarrer Stefan Mai

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