Jesus - ein Naturtalent im Zeit-Management?

Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis (Mk 1,29-39)

Einleitung
Manchmal bin ich direkt verblüfft, wie die alten Texte der Bibel, die in einer ganz anderen Zeit, in einer ganz anderen Gesellschaft entstanden sind, direkt in unsere Zeit und in mein Leben hineinsprechen. Ein solcher Text begegnet uns heute im Evangelium. Geschildert wird uns ein ausgefüllter Arbeitstag Jesu in Kafarnaum. Interessant, wie Jesus diesen strukturiert und gestaltet.

Predigt

Würden Sie es erraten, was derzeit die zwei am häufigsten verwendeten Substantive der deutschen Umgangssprache sind?
Die Nummer 1 würde ich noch erraten. Die ist das Wort „Mama“.
Gott sei Dank ist auch heute noch ein Wort der Beziehung das Wort, das am häufigsten von Menschen im Alltag in den Mund genommen wird.
Auf die zweite Position hat sich ein Wort vorgedrängt, das früher einmal nicht ganz oben stand: Das Wort „Zeit“ oder besser gesagt in der Redewendung „keine Zeit“. Was so in den Mittelpunkt gerückt ist, scheint uns immer mehr zu beherrschen. Mancher wird unter diesem Diktat sogar krank.
„Keine Zeit“, diese Formulierung ist in, ja direkt modisch geworden. Wir jammern zwar darüber und haben für dieses Jammern das Wort Stress erfunden. Aber wir fragen uns nur selten: Warum haben wir angeblich keine Zeit mehr? Wer beschert uns eigentlich den Termindruck und den Zeitmangel? Was treibt uns in die Hetze?

Auf der einen Seite sind es sicherlich die Angebote, die ins Unermessliche wachsen. Was möchten wir alles so mitnehmen. Wir entdecken ständig Dinge, die wir noch nicht haben oder noch nicht erlebt haben. Durch dieses ständige Hinterherhecheln werden die Menschen immer unruhiger und aufgewühlter. Nur noch selten ist die Einstellung des griechischen Philosophen Sokrates zu finden, der jeden Tag mit seinen Schülern diskutierend über den reich bestückten Markt von Athen ging und sich die Waren anschaute, aber nie etwas kaufte. Das regte die Athener auf und sie warfen ihm geschäftsschädigendes Verhalten vor. Sokrates konterte: „Ich schaue mir alles an und wie glücklich bin ich, dass ich all diese Dinge nicht brauche.“

Auf der anderen Seite treibt uns eine bestimmte Lebenseinstellung in die Hetze. „Keine Zeit haben“ wird zum Markenzeichen des Tüchtigen. Keine Zeit haben wird zum Ausweis für unsere Wichtigkeit. Der Arbeitslose hat viel Zeit und leidet darunter. Der Manager hat nie Zeit. Er ist total ausgebucht. Auch er leidet darunter. Wer viel Zeit hat, kommt in den Verdacht, dass er unbrauchbar und nicht leistungsfähig ist. Er erfährt, dass er nicht gefragt ist. Auch als Rentner hat man inzwischen einen Terminkalender, der bei jeder Abmachung zuerst befragt werden muss. Fürchten wir vielleicht, unwichtig zu sein, auf das Abstellgleis zu geraten, übergangen, vergessen zu werden? Und lassen uns deshalb in dieses „Dauernd Beschäftigtsein-Syndrom hineintreiben?

Da macht mich ein Jesus mit seinem Verhalten im heutigen Evangelium schon sehr nachdenklich.
Welch eine Verführung, gefragt zu sein, beliebt und begehrt zu sein. „Die ganze Stadt“, so heißt es findet sich bei Jesus ein. Was er bewegt, ist unvorstellbar: Kranke werden in seiner Nähe wieder gesund. Verrückte kommen wieder mit ihrem Leben klar. Jeder will Jesus sehen und in seine Nähe kommen. Doch was macht er? Er tappt nicht in die Beliebtheitsfalle und verfällt nicht dem Tüchtigkeitswahn. Er nutzt nicht die Gunst der Stunde aus. Er zieht sich - unverständlich für alle - aus Kafarnaum zurück, weg vom Erfolg, weg von den Bewunderern.
Petrus schüttelt nur den Kopf. „Mensch, alle suchen dich, da ist doch noch Arbeit für dich, du wirst doch noch gebraucht, für deine Idee vom Reich Gottes kannst du doch schwer punkten. Lass diese Chance doch nicht aus!“
Aber Jesus versagt sich diesem Denken. Er unterbricht diesen Erfolgsdrive, sucht sich einen Ankerplatz in der Stille, hält inne, kommt zum Nachdenken über sich selbst und ins Gespräch mit Gott.

Ich komme aus dem Staunen gar nicht heraus. Jesus lebt mit seinem Verhalten eigentlich modernstes Zeitmanagement vor, und dies schon vor 2000 Jahren. In einem Management-Handbuch steht: „Einer, der in der Tageshektik untergeht, hat weder Zeit, um über den Tag hinaus zu denken, noch wird er seinen Führungsaufgaben gerecht werden.“
Jesus geht planvoll mit den eigenen Kräften um, gewinnt Distanz zur Arbeit, findet einen Rhythmus von Belastung und Pausen, setzt bewusst Grenzen, schafft sich eine Zeit, die ungestört bleibt und die nur dem Nachdenken über die eigene Grundhaltung gilt.
Man höre und staune: Nach den Kriterien eines erfolgreichen Managements hat der „Chef“ Jesus alles richtig gemacht, wie er den erfolgreichen Tag in Kafarnaum beschließt und sich zum Gebet in die Einsamkeit zurückzieht.

Fürbitten

anstelle der Fürbitten wird der Kanon: Zeit für Ruhe, Zeit für Stille....gesungen und zwei Minuten Stille gehalten


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de