„... dass alle Welt geschätzt würde“ (Lk 2,1)

Predigt zur Weihnachtsmette 2008

Hinführung

So lieben wir Weihnachten. Als einen Tag der Gefühle. Als einen Tag der Geborgenheit, der Familie und der großen Gefühle. Als eine Zeit, in der Menschen ihr warmes Herz, das unterm Jahr oft auf der Strecke bleibt, ganz bewusst oder auch hilflos zeigen. Als einen Tag, an dem wir uns für ein paar Stunden den Glauben bewahren möchten, dass Geborgenheit, Wärme, Güte, Wohlwollen, Frieden, Harmonie, Verstehen und Zuneigung in unseren Häusern zu Hause. Nach diesem Gefühl von Weihnachten sehnen wir uns.
Keiner weiß, wie die Christen in den ersten drei Jahthunderten Weihnachten gefeiert haben. Wir wissen nur eines: Erstmals ist uns die Feier des Weihnachtsfestes in Rom im Jahr 336 nach Christus bezeugt. Sie legten für den Geburtstag Jesu den Tag des großen römischen Staatsfestes zu Ehren des unbesiegbaren Sonnengottes fest. Vom Ursprung her ist Weihnachten ein politisches Fest, ein Antifest gegenüber eine Staatraison.
Mir scheint diese Linie schon im Weihnachtsevangelium angelegt zu sein. Da sind Kaiser Augustus und ein kleines Kind einander als Gegenfiguren gegenüber gesetzt. Nähern wir uns in diesem Jahr dem Weihnachtsfest einmal unter diesem Aspekt und lassen wir uns mit dem Text eines modernen Liedes einstimmen auf das Thema dieser Nacht:

L1: „Was hab ich davon, was springt für mich raus?“
L2: So lauten manch zeitliche Devisen.
Der hohe Gewinn, der schnelle Profit, sind das unsere Zukunftsperspektiven?
L3: Das Wichtige geschieht nicht immer unmittelbar.
Das Wichtige geschieht oft unscheinbar,
das Wichtige doch oftmals nur im Kleinen geschah,
das Wichtige im Kleinen wunderbar.

- Stille -

L1: „Wie falle ich auf, wie sehe ich aus?“
L2: So lauten manch zeitliche Devisen.
Der glänzende Schein,
die Illusion verstellt uns den Blick für unser Wesen.
L3: Das Wichtige geschieht nicht immer unmittelbar.
Das Wichtige geschieht oft unscheinbar,
das Wichtige doch oftmals im Verborgnen geschah,
das Wichtige verborgen wunderbar.

- Stille -

L1: „Ich denk nur an mich und meinen Erfolg!“
L2: So lauten manch zeitliche Devisen.
Das laute Gedröhn, das schrille Geschrei
- und wer hört die Schreie von so vielen?
L3: Das Wichtige geschieht nicht immer unmittelbar.
Das Wichtige geschieht oft unscheinbar,
das Wichtige doch oftmals nur im Stillen geschah,
das Wichtige im Stillen wunderbar.

- Stille -

L1: „Wer steht mir im Weg, wen schalte ich aus?“
L2: So lauten manch zeitliche Devisen.
Die Mächte der Welt
verhindern die Chancen von so vielen.
L3. Das Wichtige geschieht nicht immer unmittelbar.
Wo wir es erwarten, ist es gar nicht so nah.
Das Wichtige geschieht oft unscheinbar,
das Wichtige so unerwartet nah.

Orgelspiel


Das ist ein modernes Lied. Es klagt darüber: Die Mächte der Welt verhindern die Chancen von so vielen.
Es gibt ein uraltes Lied in unserer Bibel, das träumt davon: da setzt Gott selbst sich für die Chancen der vielen Kleinen ein. Und dann toben die Großen.
Beten wir diesen uralten Hoffnungstraum, den zweiten Psalm (anzeigen: GL 709).
Wir sprechen abwechselnd zwischen linker und rechter Seite.

Gebet

Dank sei Dir, du wunderbarer Gott,
dass du dich hineingibst in unsere Welt:
nicht mächtig und in Pracht,
sondern schwach und verwundbar,
in einem kleinen Kind.
Dank sei dir, dass du uns den Weg nach Bethlehem weist.
Bei dir finden
die Ausgenutzten Erfüllung,
die Überanstrengten Ruhe,
die Armen finden Schätze
und die Reichen begreifen ihre Armut.
Alle, die sich beugen und ihre Hände ausstrecken,
werden überreich gesättigt.
Dir, o Gott, singen wir Ehre und Preis.

Predigt

„In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten eintragen zu lassen.“ So ist uns Katholiken das Weihnachtsevangelium im Ohr. Martin Luther jedoch übersetzt anders: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging von dem Kaiser Augustus, dass alle Welt geschätzt würde.“ Martin Luther mit seiner Übersetzung betont: Augustus braucht Geld und ist aufs Geld aus - wie alle Mächtigen. Es geht ums Abkassieren. Und so werden die Menschen danach eingeschätzt, was sie leisten und zahlen können.
Es war damals nicht anders als heute: Du wirst danach eingeschätzt, was du hast und was du bringst. Den Großen und Starken tut das nicht weh. Im Gegenteil: Sie werden dadurch erst geschätzt. Geld regiert die Welt. Pecunia non olet - Geld stinkt nicht, egal mit welchen Mitteln du es verdienst. Das ist das System des Augustus.
Es war damals nicht anders als heute. Hast du was, so bist du was. Geld bringt Anerkennung. Aber was bringen die Kleinen und Schwachen schon ein? Sie bekommen am Ende abschätzig vorgerechnet, was sie kosten - dem Staat und der Gesellschaft. Geldkonten zählen. Das ist das Augustus-System. Wenn sich die Welt danach dreht, registrieren wir nicht mehr, wie die anderen Guthaben immer geringer werden: Menschlichkeit, Rücksichtnahme, Achtsamkeit füreinander, sich gegenseitig unter die Arme greifen, auch wenn nichts dabei für mich herausspringt. Dort, wo es wirklich darauf ankommt, dass Leben gelingen kann, da sind wir schwer in die roten Zahlen geraten. Aber die lassen sich nicht mit Milliarden-Finanzspritzen gutmachen.
Das Weihnachtsevangelium, das wir so gerne als Idylle zelebrieren, rechnet mit diesem Augustus-System radikal ab. Es ist ein politisches Manifest.
Mitten in der Schätzung des Augustus wird ein anderes Wertschätzungs-System geboren. Es hat ein völlig anderes Gesicht: Die Hauptperson ist kein übermächtiger Kaiser, sondern ein hilfloses Kind. Es hat kein Soldatenheer mit Banner und Waffen um sich, sondern ein Engelsheer, das Gott lobt. Es residiert nicht in einem Palast, sondern wird in einem Stall gefunden. Es sitzt nicht stolz auf einem Thron, sondern liegt in einem Futtertrog. Zu ihm kommen nicht die superreichen Senatoren, sondern das Gesindel der Hirten.
Aber dieses Kind, so erzählt der Evangelist, stellt den gleichen Anspruch: Herr der Welt zu sein. Nimmt den gleichen Titel in Anspruch, mit dem sich Augustus überall feiern lässt: Retter.
Aber wie anders verhält sich dieser „Retter“: Der lässt keine Steuerschätzungen durchführen und die Leute nach seiner Pfeife tanzen, sondern der läuft sich selbst die Hacken ab und sucht die „Verlorenen“ auf: die Kranken und die Krüppel, die psychisch Angeknacksten, die den andern nur auf dem Geldbeutel liegen. Aber auch auf den stinkreichen Zachäus geht er zu. Der hat zwar Geld wie Heu, aber keine Sympathie und Anerkennung bei seinen Leuten.
Der Retter im Futtertrog propagiert ein anderes Wertschätzungssystem. Da zählt der Mensch - und nicht das Geld. Da zählt der Mensch - und nicht seine Stellung. Da zählt der Mensch - und nicht sein Einfluss. Da zählt der Mensch - und nicht seine Macht.
Dieses ganz andere Wertschätzungssystem hat die jungen Christen geprägt und die damalige Welt revolutioniert. Da wird die Ehre nicht den Großen dieser Welt gegeben, sondern es wird gesungen: Ehre sei Gott in der Höhe.
Und Menschen haben gespürt: Da werde ich nicht taxiert, abgeschätzt nach meiner Leistung, nach meinem Verdienst, nach meinen Beziehungen. Im Wertschätzungssystem des Krippenkindes ist jeder unschätzbar wertvoll. Alle Menschen stehen in der Gnade Gottes, sind Menschen seines Wohlgefallens.
Liebe Leser, die entscheidende Frage von Weihnachten ist: Nach welchem System ticke ich? Nach dem System Augustus - oder nach dem neuen Wertschätzungssystem Jesu?
Und da bin ich ziemlich sicher: Wenn ich mein Herz sprechen ließe - und nicht die Gier, meine wirkliche Sehnsucht - und nicht die coole Absicherungsmentalität: Vermutlich würde jeder hier im Raum sagen: Jesus, dein System stellt alles andere in den Schatten. Eigentlich ist es das, wonach die ganze Welt schreit.

Fürbitten

Herr Jesus, du bist Mensch geworden, uns gleich. Du kennst die Not und die Bedrängnis der Menschen. So beten wir mit großem Vertrauen:
Wir beten für die Menschen in Lateinamerika, die wir durch unser Adveniat-Opfer unterstützen,
und wir beten für die Armen in unseren westlichen Ländern, denen es an Geld und an menschlicher Wertschätzung fehlt
V: Kyrie eleison
A: Kyrie eleison
Wir beten für die Frauen und Männer, die in den politischen Gremien der Vereinten Nationen Verantwortung für unsere Welt wahrnehmen: Schenke ihnen Kraft und Ausdauer für die Lösung der großen Probleme unserer Zeit.
V: Kyrie eleison
A: Kyrie eleison
Wir beten für Wohnsitzlose und Straßenkinder: Sende ihnen Menschen, die ihnen freundlich und aufmerksam begegnen und ihnen helfen.
V: Kyrie eleison
A: Kyrie eleison
Wir beten für Sterbende, die einen Halt im Glauben suchen. Steh ihnen bei und stelle ihnen Menschen zur Seite, von denen sie sich verstanden fühlen.
V: Kyrie eleison
A: Kyrie eleison
Herr, unser Gott, du gehst in Treue mit uns. Lass dein Angesicht über uns leuchten. Dann ist uns geholfen.


Pfarrer Stefan Mai

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