Solche Egoistinnen!

Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis (Mt 25,1-13)

Wir haben die schönen, Vertrauen erweckende Sätze Jesu im Ohr: „Bittet und ihr werdet empfangen, klopft an und es wird euch aufgetan!“ Und wir kennen auch die Begründung Jesu, dieses Vertrauen gegenüber Gott zu haben. Er meint: Wer von euch gibt schon seinem Sohn schon einen Stein, wenn er um Brot bittet und wer schon eine Schlange, wenn er um einen Fisch bettelt? Und es ist doch selbstverständlich, dass ein Freund seinem Freund die Tür aufmacht, wenn er anklopft.
Irgendwie ist es für Jesus eine Selbstverständlichkeit, dem Mitmenschen zu geben, wenn er etwas braucht. Und dies nicht nur Freunden, sondern jedem Bedürftigen. „Wenn ihr nur denen gebt, die auch euch geben, was hab ihr da schon Besonderes getan. Ihr sollt auch denen geben, die es euch nicht zurückerstatten können!“; heißt es lapidar.

Und irgendwie braucht man doch nicht besonders fromm und auch gar nicht gläubig zu sein. Im Normalfall gibt jeder, auch in einem anonymen Häuserblock einer Stadt einem Hausbewohner ein paar Eier, ein Pfund Mehl oder eine Flasche Speiseöl, wenn ihm die unglücklicherweise ausgegangen ist, er sie aber notwendig braucht.

Da will es nicht in den Kopf, dass die fünf Damen, die genügend Öl mitgenommen haben, so egoistisch sind. Wie sie dem Bräutigam entgegen gehen, weisen sie den leichtsinnigeren anderen fünf, die doch wie sie ebenso zur Hochzeitsgesellschaft gehören, ihre Bitte nach ein bisschen Öl brüsk zurück: „Nein, das Öl könnte für uns und euch zusammen nicht reichen!“ Diese Egoistinnen werden auch noch klug genannt! Und noch bitterer ist es, dass der Bräutigam selbst noch härter reagiert und die Tür nicht mehr aufmachen lässt und die fünf, die sich so abgehetzt und abgezappelt haben, damit sie ihm doch noch mit brennenden Lampen entgegentreten können, eiskalt abfertigt. Und auch auf die flehentlichen Rufe: „Herr, Herr, mach uns auf“, können das Herz nicht erweichen. Eine eiskalte Abfuhr: „Ich kenne euch nicht!“ Was soll diese Härte?

Wenn man dieses Gleichnis von den 10 Jungfrauen verstehen will, dann muss man wissen, wofür das Öl in den Lampen steht. Das Öl steht für den Lebensertrag. Das Öl bedeutet all dein Bemühen im Leben, Gutes zu tun, für andere ein Licht sein zu wollen. Das Öl in den Lampen steht für die rechte Lebenseinstellung, die gute Werke hervorbringt. „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen,“ dazu fordert Jesus in der Bergpredigt auf. Und das ist auch das Kriterium beim Gericht! Jeder von uns weiß, eine solche Lebenseinstellung lässt sich nicht auf die Schnelle einfach kaufen und schon gar nicht von anderen ausleihen. Das ist der Ertrag eines lebenslangen Bemühens, der in meinem Lebenskrug zum großen Schatz wird und deutlich zum Vorschein kommt und aufleuchtet, wenn der Herr kommt.

Liebe Leser, ich werde es nie vergessen, wie ich als junger Kaplan in Aschaffenburg einen Arzt beerdigt habe. In seiner schweren Krankheit war ich oft bei ihm und habe von ihm mehr empfangen als ich geben konnte. Kurz vor seinem Tod sagte er zu mir: „In ein paar Tagen werden Sie mich beerdigen müssen. Ich bitte Sie um eines. Bitte gehen Sie, bevor mein Sarg zum Grabe getragen wird, noch einmal ans Mikrofon und stellen Sie allen in meinem Namen die eine Frage, die Frage: ‚Könnte mein Leben vor Gott bestehen, wenn heute mein Leben zu Ende wäre?’“
Genau diese Frage steht hinter der Härte des heutigen Gleichnisses.


Pfarrer Stefan Mai

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