Die Heiligen der Vergeblichkeit

Predigt zu Allerheiligen

Von der Dichterin Christine Busta stammt ein besonderes Heiligengedicht. Es trägt den Titel: „Die Heiligen der Vergeblichkeit“ und ist nicht ganz leicht zu verstehen. Deshalb lese ich es zweimal:

Die Heiligen der Vergeblichkeit,
denen kein Standbild errichtet wird,
außer in Gottes Gedächtnis.
Die Törichten lasst uns loben,
die nicht aufgeben wollen,
immer ferner der letzten Oase
den glucksenden Wasserbeutel zu schleppen,
hinein in die Wüste, ins Herz des Sandes,
das nur noch Schakal und Geier umkreisen,
von wo kein Dürstender – nicht der Gesuchte
noch der Suchende – je zurückkehrt.
Unbeirrbar von unserem Kleinmut unserer Verzweiflung
sind ihre Gebete mit Sternen an den Himmel geschrieben.

Für P. Fritz Debray


Voller Bewunderung ist die Dichterin für diese „Heiligen der Vergeblichkeit“, wie sie sie nennt. In der Kirchengeschichte der Heiligen sind sie nicht verewigt. Sie sind nicht zu Ehren der Altäre gekommen. Auch stehen sie nicht auf einem hohen Sockel. Sie haben sich in ihrem Leben anscheinend umsonst abgerackert. Auf schwierigen Lebensfeldern sahen sie ihre Lebensaufgabe, wollten Menschen in den Wüsten des Lebens beistehen, aber oft ohne großen Erfolg. Und trotzdem haben diese „Törichten“ nicht aufgegeben. Deswegen leuchten ihre scheinbar oft so nutzlosen Gebete für uns wie Sterne am Himmel, wenn wir selbst einmal mutlos oder verzweifelt werden sollten. Und eines ist sicher, meint die Dichterin: Sie haben einen Platz in Gottes Gedächtnis.
Der eigentliche Schlüssel zum Verständnis dieses Gedichtes liegt in der Widmung, die Christine Busta unter das Gedicht schreibt. Da steht: Für P. Fritz Debray. Christine Busta lebte in Wien. Dieser P. Fritz Debray war Pater Fritz Debray. Er war Don Bosco-Pater und war viele Jahre Seelsorger im Jugendstrafgefängnis in Wien. Wie oft fiel seine Arbeit auf wenig fruchtbaren Boden. Wie oft wurde er von den Jugendlichen enttäuscht, obwohl er seine Lebenskraft für sie einsetzte. Und wie oft wurde sein Bemühen von der eigenen Kirche nicht verstanden, obwohl er mit aller Kraft dafür gekämpft hat, Jugendlichen einen Platz in der Kirche zu geben. Für Christine Busta ein Musterbeispiel für die Heiligen der Vergeblichkeit.

Als ich dieses Gedicht las, tauchten vor meinem Auge so manche Gesichter von „Heiligen der Vergeblichkeit“ aus meinem Lebensumfeld auf:
Ich sehe sie vor mir, die alte Eva mit ihrem weißen Tuch auf dem Kopf. Sie kam in den 80-er Jahren aus dem Wolgagebiet nach Deutschland und bemühte sich ständig, ihren alkoholkranken Sohn nach Deutschland zu holen. Endlich war es ihr geglückt. Aber ihre Hoffnung, dass ihr Sohn hier Heilung von seiner Krankheit findet, erfüllte sich nie. Trotz guten Willens, trotz dauernden Bemühens, trotz unendlicher Anstrengungen kein Erfolg. Welche Schwierigkeiten nahm sie seinetwegen in Kauf. Er soff sich zu Tode, und die 85-jährige musste ihm ins Grab schauen. Ich sah sie jedoch nie verzweifelt oder verbittert. Immer wieder nur der gleiche Satz: „Egal, was er mir antut, egal welche Schande er mir macht. Er ist doch mein Kind!“
Und ich sehe sie vor mir, die Eltern von autistischen Kindern, die sich alle vierzehn Tage am Samstag in unserem Kindergarten treffen, um gemeinsam einen Nachmittag zu verbringen, sich auszutauschen, zu spielen, zu lachen. In Bewunderung vor ihrer Geduld, die ständige Unruhe ihrer Kinder auszuhalten, ohne mit ihnen darüber reden zu können. In Bewunderung vor ihrem gütigen Ton in der Stimme, obwohl es manchmal erscheint, er kommt auf der Gegenseite gar nicht so recht an, möchte ich ihre Namen unter dieses Gedicht „die Heiligen der Vergeblichkeit“ schreiben.

Ich bin mir sicher. Auch so mancher von Ihnen kann wie Christine Busta Namen unter ihr Gedicht setzen. Und vielleicht gehören auch Sie sogar selbst dazu.


Pfarrer Stefan Mai

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