Lehrstunde an der Käsetheke

Predigt zur Verabschiedung aus der Pfarrei St. Maximilian Kolbe am 12. Oktober 2008

Einleitung

Nach 15 Jahren schließt sich ein Kreis. Am 3. Oktober 1993 wurde ich von Dekan Heinz Röschert als Pfarrer von St. Maximilian Kolbe eingeführt. Für mich habe ich es als gutes Omen interpretiert, dass mein Geburtstag mit dem Namenstag unseres Kirchenpatrons auf den gleichen Tag fallen.
Heute, am 12. Oktober 2008, verabschiede ich mich wieder von St. Maximilian Kolbe am Patrioziniumsfest, das wir am Sonntag nach dem Heiligsprechungstermin von Maximilian Kolbe feiern, um eine neue Aufgabe für eine der größten Pfarreiengemeinschaften der Diözese, für die Pfarreiengemeinschaft Gerolzhofen mit dem Namen Franziskus am Steigerwald zu übernehmen.

Sie können es wahrscheinlich erahnen, wie es in mir aussieht. Ein seltsames, ja fast schizophrenes Gefühl.
Auf der einen Seite: Wehmut, eine Umgebung und Menschen zu verlassen, die mir vertraut waren, eine Aufgabe aufzugeben, in die ich die besten Jahre meines Lebens investiert habe.
Auf der anderen Seite: Das Gefühl, wie es auf einer Karte steht, die mir eine Familie vor ein paar Tagen geschrieben hat. Auf ihr ist ein Spruch von Meister Eckhart zu lesen: „Und plötzlich weißt du, es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.“
In diese Gefühlslage mischt sich das Gefühl des Dankes für so vieles, das mein Leben in dieser Zeit reich gemacht hat und die Bitte um einen guten Neuanfang.

Predigt

In einem 20-sekündigen Werbespot stellte die Firma Edeka Anfang 2008 einen Käsekenner aus der Fachabteilung vor. Die erste Einstellung zeigt eine Edeka-Tafel hinter einer Probierauswahl verschiedener Käsewürfel.
Die Tafel trägt die Aufschrift: „Aus Liebe geben wir alles.“ Hinter der Frischetheke im Supermarkt steht der Käsefachverkäufer und wartet auf Kunden. Da kommt ein kleiner pfiffiger Junge an die Käsetheke. Interessiert schaut er die zahlreichen Käsesorten an. Aber bevor er kauft, testet er zuerst das Fachwissen des Verkäufers. Der kleine Junge deutet mit dem Finger auf eine Käsesorte. „Gouda aus Holland“ kommt es postwendend zurück. Der Junge macht einen zweiten Versuch. Prompt die Antwort: „Pecorino aus Italien.“ Mit zunehmend provokantem Gesichtsausdruck und immer schneller zeigt der kleine Zwerg auf einen Käse nach dem anderen. Doch der Verkäufer bleibt keine Antwort schuldig. Wie aus der Pistole kommt es geschossen: „Dachsteiner aus Österreich, Tilsiter aus Deutschland, Gryere aus der Schweiz.“ Als der Kleine einzusehen beginnt, dass der Mann hinter der Theke alles zu wissen scheint, versucht er den letzten Test. Blitzschnell zeigt er auf eine ältere Dame, die gerade den Glastresen ansteuert. Auch hier kommt prompt die Antwort: „Frau Diestner aus der Steinstraße.“ Es scheint zu stimmen: „Aus Liebe geben wir alles.“

Was soll der „Käse“ mit der Käseabteilung an einem Patroziniumstag beim Abschied eines Pfarrers aus einer Gemeinde? Dieser Werbespot ist eine Herausforderung für mich als Kirchenmann und für uns als Kirchengemeinde. Er zeigt mir drei Punkte auf, die Menschen von heute von einer Kirche erwarten und mit denen die Glaubwürdigkeit der Kirche steht und fällt: Fachkenntnis, Menschenkenntnis und Motivation.

Das erwartet man einfach von einem Pfarrer, dass er seine Bibel kennt, dass er Bescheid weiß über Glaubensfragen, dass er Kommunionkindern erklären kann, was wir in der Eucharistie feiern, und dass er imstande ist, bei Gesprächen Rede und Antwort zu stehen, kurz: dass er Fachkenntnis hat.

Das erwartet man einfach von einem Pfarrer, dass er seine Leute kennt,
dass er viele aus der Gemeinde mit Namen ansprechen kann, dass er langsam bei den Verwandtschaftsverhältnissen durchblickt, dass er sich für das Leben seiner Leute interessiert und weiß, womit sie sich herumschlagen, und mit ihnen nach Lösungen in schwierigen Lebens-lagen sucht, kurz: dass er Menschenkenntnis und Interesse an den Menschen hat.

Das erwartet man einfach von einem Pfarrer, dass er nicht nur nach Stechuhr schafft, dass er vor Ort zu erreichen ist, dass ihm die Menschen am Herzen liegen, kurz: dass er echte Motivation zeigt.

So gut mir das Beispiel vom Käseverkäufer gefällt, so viel Stoff es mir zum Nachdenken gibt – der Vergleich hinkt. Ich bin als Pfarrer kein Verkäufer hinter der Theke. Ich bin selbst Kunde an einer Theke. An der Theke meiner Kirche.
Was wäre mein Leben ohne ihre Lieder, ohne ihre Gebete, ohne die Erzählungen aus der Bibel, die nur so von Lebensweisheit strotzen? Was wäre mein Leben ohne die Überzeugung, dass du dich mit diesem Jesus nicht verstecken brauchst? Er hält alle Vergleiche mit den Großen dieser Welt aus. Von ihm wird alles falsche Getue und alle Aufgeblasenheit entlarvt. Er lässt die Kleinen zu ihrem Recht kommen, geißelt allen selbstsüchtigen Karrieregeist und hat keine Angst vor den Großen.
Trotz Missständen und Turbulenzen in unserer Kirche: An welcher anderen Theke unserer Gesellschaft werden ohne Hintergedanken, ohne Zwang, ohne Quotenschielerei Schätze von Jahrhunderten angeboten, das Lebenswissen so vieler gläubiger Menschen?

Der einzige Vorsprung, den ich als Pfarrer an der Theke habe: Ich habe viel Zeit nachzudenken, Dinge durchzudenken, mich inspirieren zu lassen, mit befassen zu dürfen mit Kunst, mit Dichtung und vielen Dingen, die nicht unbedingt modern und in sein müssen.

Aber als Pfarrer an der Theke lerne ich das Meiste von den Menschen, die mit mir dort stehen: von denen ich viel Vertrauensvorschuss erfahre, die mich Anteil nehmen lassen an ihrem Leben, die mir erzählen, wie sie das Leben meistern, was sie am Leben freut, wie der Glaube ihnen Halt gibt, warum sie immer noch an Gott glauben, obwohl sie ihn oft nicht verstehen.
Liebe Zuhörer, ich würde nichts davon halten, wenn die Kirche wie Edeka im Fernsehen Werbespots ausstrahlen würde. Denn der beste Werbespot für die Kirche wäre, wenn man sagen könnte: Dort treffe ich Menschen, die stehen im Leben, weil sie an den Himmel glauben.

Fürbitten

Herr, unser Gott, als Pfarrgemeinde am Deutschhof feiern wir heute das Patroziniumsfest St. Maximilian Kolbe. Wir bitten dich:

Wir beten für alle Menschen am Deutschhof:
Dass sie miteinander in Frieden leben und das Zusammenleben zum Wohl aller Volksschichten und Gruppen gestalten können

Wir beten für alle, die unsere Pfarrkirche St. Maximilian Kolbe besuchen:
Dass sie hier Anregungen für ihr Leben mitnehmen dürfen, Ermutigung, Ruhe, Trost und Geborgenheit im Glauben erfahren

Wir beten für alle, die sich in unserer Pfarrei ehrenamtlich um ein lebendiges Gemeindeleben bemühen:
Dass sie ihren Dienst in Eintracht tun und auch Früchte ihrer Bemühungen sehen dürfen

Wir beten für alle, die sich um ein gutes Miteinander in der zukünftigen Pfarreiengemeinschaft mit St. Peter und Paul und in der ökumenischen Nachbarschaft mit St. Lukas Gedanken machen:
Dass sie tragfähige Geleise für die Zukunft legen können

Wir beten für alle, die am Montag früh zu einer Pilgerreise nach Rom und Assisi aufbrechen:
Dass sie mit neuen Impulsen für ihr Glaubensleben wieder gesund zurückkehren

Wir beten für alle aus unserer Pfarrei St. Maximilian Kolbe, die viel für das Pfarreileben getan haben und jetzt krank oder schon gestorben sind:
Dass wir ihr Mühen i dankbarer Erinnerung halten und dass Gott ihnen ihre Mitsorge vergelte

Darum bitten wir dich heute durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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