„Gold kann man eben nicht essen...“

Predigt zum Erntedankfest

Es war einmal ein armer Bauer. Das Leben dieses Bauern war nicht einfach. Vom Frühjahr bis zum Herbst musste er sich bei Sonne, Wind und Regen um seine Felder kümmern. Im Winter plagte er sich im Wald. Eigentlich mochte er seine Arbeit. Aber wenn er abends müde und erschöpft nach Hause kam und seine dreckigen, zerschundenen Hände betrachtete, regte sich in ihm schon manchmal die Unzufriedenheit.
„Guter Gott, weißt du. Die Arbeit eines Bauern ist wichtig, aber sie ist auch hart. Manchmal frag ich mich schon, ob das alles sein muss. Wenn ich an die feinen Herren und Damen denke, die in den reichen Häusern leben, mit ihren zarten Händen und den wertvollen Kleidern…..Und ich? Schau dir meine Hände an! Voller Risse und Schwielen, immer nur trage ich meine alte Arbeitskleidung und alles riecht nach Mist und Stall. Was würde ich dafür geben, auch einmal so ein feiner Herr zu sein…..“
Diese Gedanken gingen dem Bauern im öfter durch den Kopf, und er wurde mit seinem Leben immer unzufriedener.
Als er nach einem schweren Arbeitstag wieder einmal in seiner ärmlichen Stube saß, geschah es. Zuerst sah der Bauer nur ein kleines Glitzern, ganz unscheinbar. Aber das Glitzern wurde größer, größer und größer und durchflutete nach und nach die ganze Stube. „Was ist das?“ der Bauer erschrak und hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.
Da stand – mitten in seiner alten, dunklen Stube – eine Fee, golden schimmernd und funkelnd.
„Ich habe gehört, wie du dich über deine Arbeit beschwerst und ich habe gesehen, wie du dich jeden Tag abplagen musst. Deshalb will ich dir deinen Wunsch erfüllen:
Alles, was du mit deinen Händen berührst, wird zu Gold werden!“
Kaum hatte die Fee diesen Satz ausgesprochen, war sie schon wieder verschwunden.
Was hatte die Fee gesagt? – Alles, was du mit deinen Händen berührst, wird zu Gold werden…… So ein Unsinn!“ Der Bauer schüttelte ungläubig den Kopf…. Vor ihm auf dem Tisch stand noch der Suppenteller, den seine Frau ihm hingestellt hatte. Der Löffel lag daneben. – „Sollte ich vielleicht doch…? Nein..das kann ja gar nicht sein….“
Ganz langsam streckte er einen Finger aus. Nur ganz kurz tippte er mit seinem Finger den Löffel an ..... Der blecherne Löffel bestand mit einem Mal aus purem Gold. Der Bauer stand erschrocken vom Tisch auf, stützte sich dabei mit der Hand auf die Stuhllehne …. und …. Gold … der Stuhl bestand nun aus Gold.
„Frau, Frau. Komm her…. Endlich haben auch wir Glück, wir können uns alles leisten, was wir uns nur wünschen…. Von nun an werden wir ein angenehmes Leben führen können wie die feinen Damen und Herren….“ Und er führte die neu entdeckte Kunst des Gold-Machens seiner ungläubigen Frau vor.
Wie im Taumel gingen der Bauer und seine Frau nun durch das alte Bauernhaus. Lachend und kichernd streckte der Bauer mal hier, mal dort die Hand aus…. Und wirklich alles, was er berührte, wurde zu Gold: Der Tisch, die Schale, der Teller, der Schrank, die Türe ……ja sogar draußen vor dem Haus der Misthaufen – alles Gold. Vor lauter Aufregung spürte der Bauer weder Hunger noch Durst, er lief umher berührte, was ihm nur grad zwischen die Hände kam …… „Was für ein Glück! Was für ein wunderbares Glück!“ schoss es ihm ein ums andre Mal durch den Kopf.
Schließlich spürte der Bauer eine große Müdigkeit. „Gold machen.. das strengt an.“ lachte er und beschloss, schlafen zu gehen.
Wie jeden Abend schüttelte er vor dem Schlafengehen sein Kissen auf….und …. natürlich – auch das Kissen wurde durch die Berührung seiner Hände zu Gold. „Nun bin ich wirklich auf Gold gebettet, nun kann uns nichts mehr geschehen….“ sagte er zufrieden zu seiner Frau und schlief gleich voller Erschöpfung ein.
Am nächsten Morgen wachte er früh auf und hatte einen mordsl Hunger. Seine Frau hatte wie jeden Morgen schon das Frühstück vorbereitet. Die Tasse mit dem dampfenden Kaffee und der Laib Brot standen schon auf dem Tisch.
Der Bauer setzte sich an den Tisch, ergriff hungrig das Brot – und - das Brot wurde zu Gold. Er griff zur Tasse .. und … die Tasse war pures Gold und der Kaffee darin war golden erstarrt.
Die Bauersfrau, die alles beobachtete, bekam Mitleid mit ihrem Mann, der ganz verdattert vor dem golden glänzenden Brot saß. Sie holte einen neuen Laib Brot aus der Kammer, schnitt eine Scheibe ab und fütterte ihren Mann damit. Die Hände des Bauern blieben auf seinem Schoß liegen …. Untätig.
So ging es einige Tage …. „Nun hast du soviel Gold, wie du dir nur wünschen kannst, aber du drohst zu verhungern … Gold kann man eben nicht essen.“ sagte seine Frau und schaute ihn traurig an.
Da verfluchte der Bauer den Tag, an dem die Fee gekommen war.
(Idee für das Märchen: Stefan Mai; Ausarbeitung: Susanne Birkholz-Niedermeier)


Da verfluchte der Bauer den Tag, an dem die Fee gekommen war...
Schon die alten Griechen erzählen von diesem Wunsch, alles zu Gold zu verwandeln. Geld, Gold – eine Sehnsucht, die zur unüberlegten und gefährlichen Sucht werden kann und am Ende dem wirklichen Leben schädlich ist. Welche Zeit weiß dies besser als die unsrige?

Das bewundere ich an unserem alten biblischen Schöpfungsbericht: Er erzählt nichts von Geld, Gold und Edelsteinen, nichts von den Bodenschätzen im Innern der Erde. Die Menschen wussten davon. Sie kannten Gold und Edelsteine. Aber im Schöpfungsbericht ist nur von dem die Rede, was der Mensch wirklich zum Leben braucht: Von der Erde, vom Wasser, vom Licht, von Pflanzen und Früchten, von Tieren und dem Menschen. Das ist es, was dich als Mensch leben lässt. Das braucht der Mensch zum Leben. Deswegen heißt es am Ende eines jeden Schöpfungstages: Und siehe, es war gut.

Der Schöpfungsbericht ist für mich wie eine große Danklitanei für die wichtigen Dinge des Lebens. Und das Erntedankfest versucht Jahr für Jahr dieses Bewusstsein lebendig zu halten: „Vergiss nicht, was wirklich dein Leben nährt und trägt!“
Ich glaube allerdings, dass das Erntedankfest nur dort nicht zur bloßen Folklore verkommt, wo Menschen noch die kostbare Tradition des Tischgebetes pflegen. Wo sie nicht in einer stummen Selbstverständlichkeit es einfach hinnehmen, dass sie zu essen haben. Das Tischgebet weiß um den Segen der Speisen und dankt für diese Schätze der Erde. Es gibt dem Dank eine Sprache und Geste und hält uns die wichtigen Dinge vor Augen, von denen wir Menschen leben.


Pfarrer Stefan Mai

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