...in Demut

Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis (Phil 2,1-11)

In der kommenden Woche, am 4. Oktober, ist der Namenstag von Franz von Assisi. Als er 1182 geboren wurde, war die Gesellschaft in zwei Klassen geteilt: In die höhere adelige Schicht, die sogenannten „majores“ und das niedere Volk, die „minores“. Dem niedrigen Volk kam keinerlei Bedeutung in der Gesellschaft zu und keinerlei Wertschätzung. Das verriet allein schon die Sprache. Die Adeligen nannte man „boni homines“, das heißt die „guten Menschen“. Den kleinen Leuten sprach man diese Qualität ab. Man nennt sie einfach „homines populi“, Volksleute. Die Sprache bringt es an den Tag: Geburt und Besitz machen einen Menschen zum guten Menschen. Wer solches nicht vorweisen kann, ist wertlos.

Diese zwei Klassen bekämpften sich zur Zeit des Franz von Assisi bis aufs Blut, vor allem als es Leute aus der unteren Schicht schafften, als Kaufleute zu Geld zu kommen. Zu dieser Bevölkerungsschicht gehörte die Familie des Pietro Bernadone, des Vaters von Franziskus. Franziskus wurde zunächst in diese Revolution hineingerissen, kämpfte mit, als man die Adeligen aus Assisi hinaus warf. Er selbst war auf dem besten Weg, wie sein Vater mit aller Verbissenheit in die obere Klasse zu kommen. Eines Tages krempelt Franziskus sein Leben um. Er verzichtet auf dieses Karrieredenken, verzichtet auf Macht und Reichtum. Und das tat er nicht so wie Offizielle in Politik und Kirche, die jährlich vor Weihnachten für eine Stunde Altenheime, Waisenhäuser und Krankenhäuser besuchen. Das Niedrig-Werden wird zu seinem Lebensprogramm. Seinem Orden gibt er den Namen „Minoriten“, das heißt Minderbrüder. Niemand darf sich in seinem Orden „Prior“ nennen, d.h. Erster, Ranghöherer. Sein Programm lautet: In Demut diene einer dem anderen. Und er wählt als Segenszeichen in seinen Briefen nicht das gewöhnliche Kreuzzeichen. Franziskus nimmt als Segenszeichen eine besondere Form. So mancher Jugendlicher trägt es am Hals, das Tau. Es ist der erste Buchstabe eines griechischen Wortes aus der heutigen Lesung, der erste Buchstabe des Wortes „tapeinos“. Das heißt nichts anderes als „niedrig“, „demütig“.

„In Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst!“, rät Paulus den Philippern und stellt ihnen als Vorbild den vor Augen, der Gott gleich war, aber nicht an seiner unantastbaren Würde festgehalten hat, sondern sich hineinbegeben hat in die größten Niederungen des menschlichen Lebens.
Liebe Leser, ich kenne keinen in der Weltgeschichte, der dieses Ideal des Niedrig-Seins, das Paulus uns heute vor Augen stellt, so radikal gelebt hat wie der Minderbruder Franziskus. Eine solche gelebte „Demut“ ist nie und nimmer die „feige Tugend“, wie Nietzsche die Demut einmal genannt hat. Sie ist ein Lebensprogramm in Kontrast zum Herrschenwollen oder wenigstens sich im Glanz der Potenten und Einflussreichen sonnen wollen. Sie ist das Gegenteil von Eingebildet sein und Dünkel. Nur starke Menschen können echt demütig sein.
Ich meine, auch Menschen von heute spüren immer wieder: Die echt großen Menschen sind nicht automatisch die von Rang und Namen, nicht die mit Geld und Macht. Die echt Großen sind bis heute die Menschen, die einfach, bescheiden, aber entschieden in ihrem Lebensumfeld umsetzen, was Paulus heute rät und ein Franziskus radikal gelebt hat: „Tut nichts aus Ehrgeiz und Prahlerei. Sondern in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auf das Wohl der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus entspricht!“


Pfarrer Stefan Mai

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