Wenn es nicht nach meinem Kopf geht...

Predigt zum 21. Sonntag im Jahreskreis (Röm 11,33-36)

Wir besitzen kein Originalbild von ihm. Wir wissen nicht, wie er wirklich ausgesehen hat, der große Völkerapostel Paulus. Aber auf den Ikonen und Bildern des Mittelalters wird der Apostel Paulus als Mann mit Glatze dargestellt. Diese ausgeprägte Glatze und Denkerstirn qualifiziert ihn als Intellektuellen, aber auch als einen Mann, der eigene Vorstellungen und Ideen hatte und diese mit Biss und Energie durchfechten wollte. Seine Glatze und Denkerstirn zeichnen ihn als einen Mann, der oft mit dem Kopf buchstäblich durch die Wand wollte und der auch dem Petrus die Stirn geboten hat und wie ein Wilder für seine Überzeugung kämpfte.

Und gerade dieser Mann, der viel nachdachte und genau wusste, was er wollte, hat in seinem Leben an zwei markanten Punkten erfahren müssen, dass sein Plan nicht aufgeht. Dass das, was er im Kopf hatte, sich ganz, ganz anders entwickelte:
Paulus war ein fanatischer religiöser Eiferer. Theologisch gut ausgebildet und hoch motiviert, wollte er schon in jungen Jahren Menschen für den Glauben seiner Väter gewinnen. Und er schreckte dabei auch vor radikalen Mitteln nicht zurück: „Ihr habt ja gehört, wie ich früher als Jude gelebt habe, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte, wie ich in meinem Einsatz für das Judentum viele Altersgenossen in meinem Volk überflügelte und ein übereifriger Sachwalter der Überlieferungen meiner Väter war,“ schreibt er im Galaterbrief. Und jeder von uns weiß, wie dieser Plan vor Damaskus zunichte gemacht wurde und ab diesem Tag sein Leben buchstäblich auf den Kopf gestellt wurde und Paulus aus einem Verfolger des Christentums sich zum größten christlichen Missionar aller Zeiten entwickelte.
Doch zu diesem Weg kam es auch wieder ganz anders, als es sich Paulus eigentlich vorgestellt hatte. Als Kenner des Judentums wollte er Menschen aus seinem eigenen jüdischen Volk für den christlichen Glauben gewinnen. Aber dieser Plan scheiterte kläglich. Trotz größten Einsatzes, trotz guter und auch scharfer Worte, trotz aller theologischer Argumentationen zeigen ihm die Juden die kalte Schulter. Paulus wird fast verrückt, weil er seinen Glaubensbrüdern die christliche Botschaft, die er selbst als neue Freiheit erfahren hat, nicht nahe bringen konnte. Aber ebenso staunt er, wie er gerade dadurch den Weg zu den Heiden fand und durch ihn der christliche Glaube wie ein Lauffeuer innerhalb weniger Jahre durch die gesamte römische Welt lief. Staunend über diesen Lebensweg, der sich so ganz anders entwickelte und verlief als er es sich ausgemalt hatte, schreibt Paulus am Ende seiner Überlegungen über das Verhältnis von Christen und Juden im Römerbrief: „O Tiefe des Reichtums und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege.“ In tiefer Ergebung vor der Souveränität Gottes bekennt Paulus, dass Gottes Wege und Pläne andere waren als die seinen, dass Gott Lebensgeschichten und Weltgeschichte oft anders schreibt als es sich Menschen ausdenken.

Liebe Leser! Wenn Sie einmal auf Ihr Leben schauen und darüber nachdenken: Gibt es nicht da auch markante Wendepunkte, an denen Ihr Leben ganz anders verlaufen ist, als Sie es sich vorgestellt haben. Begegnungen, die Ihr Leben entscheidend verändert haben? Ereignisse, die Ihrem Leben eine ganz unverhoffte Richtung gaben?

- Meditative Orgelmusik -



Können Sie im Rückblick darauf in die Worte der heutigen Lesung einstimmen: „O Tiefe des Reichtums und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege...Ihm sei Ehre in Ewigkeit?“
Können Sie die Worte eines Dom Helder Camara annehmen, der uns rät:

Sag ja
zu den Überraschungen,
die deine Pläne durchkreuzen,
deine Träume zunichte machen
deinem Tag
eine ganz andere
Richtung geben -
ja vielleicht
deinem Leben.

Sie sind nicht Zufall.
Lass dem himmlischen Vater die Freiheit,
Selber
Den Einschuss deiner Tage zu bestimmen.


Pfarrer Stefan Mai

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