Gedanken eines scheidenden Dekans

bei der letzten Seelsorgskonferenz am 23.07.2008

„Ich bin dann mal weg“ So lautet der bekannte Titel des Buches von HA.PE. Kerkeling über seine Erlebnisse auf dem Jakobusweg. Schon über einem Jahr steht er auf der Bestsellerliste auf den vordersten Rängen. "Ich bin dann mal weg" ist schon fast zu einem geflügelten Wort oder gar zu einem neuen Kultwort bei uns geworden. Erst neulich kam eine Mail von einem Kaplan bei mir an, der sich auf seinen Urlaub freute: "Ich bin dann mal weg" war da zu lesen. Oder als sich ein Kirchenverwaltungsmitglied vor ein paar Tagen verabschiedete und zum Start seines Ruhestandes sich auf eine Fahrradwallfahrt nach Santiago begab, meinte er nur lächelnd: „Ich bin dann mal für drei Monate weg.“

Das Buch von HA.PE. Kerkeling würde sich nicht so gut verkaufen, wenn es nicht die Sehnsucht vieler heutiger Menschen ansprechen würde. "Ich bin dann mal weg", diese Mentalität ist schon fast zum Lebenselexier, zu einer Art „Tankstelle", zu einem Ort der Mobilisierung neuer Kräfte geworden. "Ich bin dann mal weg" steht als Bezeichnung für einen geheimnisvollen Ort, wo man die schönsten Erlebnisse macht, was das Leben reich und bunt macht, was für manche Mühsal des Lebens daheim entschädigt. "Ich bin dann mal weg" ist auch in Kirchenkreisen zu einem Begriff geworden, wo man tiefe spirituelle Erfahrungen erlebt.

"Ich bin dann mal weg" heißt es auch für mich in 3 Monaten. Aber ein wenig anders gemeint als im keerpelingschen Sinn. Nach 15 Jahren Schweinfurt spüre ich, dass für mich ein Weggehen aus Schweinfurt und das Zugehen auf eine neue Herausforderung ansteht.
Von Natur aus und von der Familienprägung her gehöre ich nicht zu jenen, die das hohe Lied auf die "Ich bin dann mal weg"-Lebenselexierphilosophie singen. Ich bin kein großer Urlaubsreiser und auch kein besonders eifrig frommer Pilger, schon gar nicht auf den sehr in Mode gekommenen „Wallfahrtsautobahnen“. Ich gehöre zu den komischen Zeitgenossen, die mit ein paar Tagen Bergwelt genug von daheim weg sind und froh sind über ein paar Tage Heimatscholle oder ruhige Lese-Zeit.

Vielleicht könnt Ihr aufgrund dieser persönlichen Prägung und Seelenlage eine große Sorge von mir verstehen, ohne diese gleich als Angriff zu verstehen: Mir macht große Sorge für die zukünftige Pastoral, dass über vielen Pfarrhäusern in der Diözese sich immer mehr diese Aura "Ich bin dann einmal weg" verbreitet. Dass oft über längere Passagen kein Mensch dort anzutreffen ist, dass viele Telefonate ins Leere oder nur noch auf Anrufbeantworter gehen.

Bei unserer Weihe hat ein Wörtchen eine große Rolle gespielt: Adsum. Es ist meiner Meinung nach mit "Ich bin bereit" zu spirituell, zu abgehoben übersetzt. Adsum ist für mich jedoch kein hochtrabender spiritueller Bereitschaftsbegriff. Adsum darf für mich seine buchstäbliche Wörtlichkeit nicht verlieren, es heißt einfach: "Ich bin da". Adsum hat mit stabilitas loci zu tun, mit vor Ort sein, da sein, anzutreffen, erreichbar, verlässlich.

In hauptamtlichen Kreisen der Kirche wird oft viel über die Unverbindlichkeit, Bindungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der heutigen Menschen geklagt. Vergessen wird dabei, dass es auch immer mehr Hauptamtlichen schwer fällt, sich selbst anzubinden und sich binden zu lassen. Ich glaube, dass Bindung in Gemeinden nur geschehen kann über Personen, die da sind und selbst ein hohes Bindungsbewusstsein haben, ohne sich dabei gefesselt zu fühlen.

Ich bin der Meinung, dass heutige Pastoraltheologie neu über eine „Adsum-Spiritualität“ nachdenken müsste, in der Präsenz und Erreichbarkeit wieder einen höheren Stellenwert bekommt und vielleicht sogar als provokativer Gegenentwurf zu der modern gewordenen "dann bin ich mal weg"-Mentalität gedacht wird.

Um Präsenz, Erreichbarkeit, Bindung, vor Ort sein habe ich mich wie mein Vorgänger im Dekaneamt, Heinz Röschert, in den 15 Jahren in St. Maximilian Kolbe und im Dekanat Schweinfurt-Stadt bemüht. Und ich habe sie nicht als Überbelastung erlebt, sondern bin damit gut gefahren.

Stefan Mai


Pfarrer Stefan Mai

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