Wenn der Akku leer ist...

Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (Mt 11,25-30)

Predigt

Ich kann mich noch gut erinnern, wie es eines Tages beim Ausarbeiten einer Predigt in meinem Schreibzimmer zart und verhalten piepste. Hörst du jetzt schon Geräusche?, fragte ich mich, was soll denn schon in meinem Zimmer piepsen? Und das Piepsen war wieder vorbei. Aber nach einer Weile fing es wieder zu piepsen an. Und das leise, aber penetrante Piepsen nervte immer mehr. Technikversierte wären dem Piepsen eher auf die Schliche gekommen. Aber ich brauchte lange, bis ich nach einer Suchaktion endlich drauf kam, dass der Urheber des Piepsens mein Handy war. Dessen Akku war einfach leer. Ich suchte das Ladegerät, steckte es in die Steckdose, hängte das Handy daran –und Ruh’ war. Der sonderbare Spuk des Piepstons war vorbei.

In modernen Haushalten müssen heutzutage ständig irgendwelche Akkus aufgeladen werden: Handy, Navigationsgerät, Notebook, Digital- und Videokameras. Und manchmal vergisst man es und ärgert sich zu Tode, wenn draußen nach einem Gewitter ein wunderschöner Regenbogen steht, aber der Akku der Kamera leer ist, weil man sie lange nicht benutzt hat.

Die Akkus der technischen Geräte piepsen, bevor sie leer werden. Sie haben ein Frühwarnsystem, das auf das Aufladen des Akkus rechtzeitig hinweisen soll. Das wissen wir aus Erfahrung: Auch wir Menschen haben einen begrenzten Akku an Energie, an Arbeits- und Lebenskraft. Und ständig besteht für Menschen, die im Berufs- und Familienleben gefordert sind, die Gefahr, dass sie das Frühwarnsystem ignorieren, dass sie nicht rechtzeitig wahrnehmen, wenn es piepst: Vorsicht, du musst wieder aufladen, auftanken, der Akku ist leer! Wie groß ist die Gefahr, dass man sich verausgabt, die Kräfte überstrapaziert hat und dann plötzlich ausgepumpt und ausgebrannt da steht, nichts mehr ausstrahlen kann und zu nichts mehr Lust hat.

„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig; denn so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“
Diese Jesusworte aus dem heutigen Evangelium sind für mich eine Art Frühwarnsystem gegen allen Leistungsdruck, den man sich selbst macht und gegen den Anforderungsdruck, der an uns herangetragen wird. Diese Worte sind ein Ausdruck dafür, dass Gott von uns nichts Übermenschliches und nichts, was unsere Kräfte überfordert, verlangt. „Heran zu mir alle, ihr Mühenden und Überbürdeten: Ich werde euch aufatmen lassen“, so übersetzt Fridolin Stier diese Worte. Jesus lädt ein zu einem Lebensstil, in dem das Aufatmen, das zu Kräften kommen seinen Platz hat. Wie aber kann man dieser Einladung folgen, wie einen solchen Lebensstil des Aufatmens einüben und kultivieren?

Vor ein paar Wochen bin ich auf das Buch von Peter Handke mit dem Titel „Gestern unterwegs“ gestoßen. Es sind Reisenotizen, die der österreicherische Schriftsteller zwischen 1987-1990 festgehalten hat. Es sind immer nur kurze Sätze und Gedanken, Tagebuchnotizen. Aber eigentlich ist dieses Buch für mich eine Anleitung zu einem aufatmenden Lebensstil im Sinne des heutigen Evangeliums. Handke kommt nicht als erlebnishungriger Urlaubstourist, der darauf hofft, in wenigen Tagen irgendwo durch großartige Events den Akku für ein Jahr wieder aufzuladen. Nein, er geht oft tagelang durch einsame Landschaften, verweilt an Orten, die ihn anziehen. Besonders wird er von Kirchen angezogen mit ihren Bildwerken, und im Reisegepäck hat er das griechische Neue Testament. Er lässt sich von der Schönheit der Natur beeindrucken und freut sich darüber, dass die Schönheit von Himmel und Erde „in das innerste Herz“ greift. „Gesundwerden durch Staunen“, notiert er. Oder ich lese den Satz: „Wenn du bedenkst, wie viel Herrlichkeiten du erlebt hast, möchtest du einfach nur singen, Sänger sein.“ Und immer wieder Bezüge auf das Neue Testament und seine Bedeutung für ihn: „Am klarsten lese ich die Bedingungen, Gesetzlichkeiten, offenbare Geheimnisse des Erdendaseins aus den Evangelien.“ Was er oft an kleinen Dingen erlebt, interpretiert er auf der Hintergrundfolie von biblischen Bildern: „Heute habe ich Zeit, die Stimme aus dem Dornbusch spricht von überall her, aus den Spatzenlauten, aus den Luftfurchen.“

Liebe Leser, Peter Handke hat mit seinem Buch, unbeabsichtigt oder gewollt, eine Anleitung zu einem meditativen Leben in der Welt geschrieben. Und ich meine auch zu einem Lebensstil, der davor bewahren möchte, sich ausgebrannt mit einem leeren Akku dahin zu schleppen. Die meisten Menschen verstehen die heutigen Evangelienworte erst als Einladung, wenn sie müde und kaputt sind. Jesus versteht die Worte anders. „Mein Joch nehmt auf euch und lernt von mir … und ihr werdet Aufatmen finden für euer Leben. Mein Joch ist ja gut, und meine Bürde ist leicht,“ bedeutet in der rabbinischen Sprache seiner Zeit: Meine Worte wollen nicht überfordern und zu Boden drücken. Wer sie ernst nimmt und sein Leben mit ihnen gestaltet, dem wächst Kraft zu und der kann immer wieder aufatmen, mitten in allen Plagen und Mühen seines Lebens.

Fürbitten

Jesus, du versprichst: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig; denn so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“
In der Stille beten wir heute für die Mühseligen und Beladenen, die wir kennen. Wir beten auch für uns in Unseren Belastungen und allem, was uns schwer auf den Schultern und der Seele liegt:

1 Minute Stille

Jesus, lass uns dies immer wieder erfahren: Bei dir dürfen wir Ruhe finden für unsere Seelen. Darum bitten wir heute, dich, Christus, unsern Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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