Ob sie heute noch eine Chance hätten?

Predigt zum Fest Peter und Paul 2008 (Apg 12, 1-11)

Predigt

Von Führungsfiguren erwartet man heutzutage viel. Man erwartet neben hoher Qualifikation und sozialer Kompetenz vor allem unermüdliche Einsatzbereitschaft und Standfestigkeit. Man erwartet, dass sie nichts so schnell umschmeißt, dass sie für ihre Ideen einstehen und gerade stehen. Man erwartet, dass sie keine Schwächen zeigen, auch höchste Belastungen durchstehen. Mitarbeiter sollen sich an ihnen orientieren und auch wieder aufrichten können.

Die beiden großen Führerfiguren der jungen Kirche waren Petrus und Paulus. „Säulen“ der Kirche nennt man die beiden. Sie stehen für die beiden Pole der Kirche, Amt und Charisma. Auf unterschiedliche Weise standen sie für den christlichen Glauben ein, um des Glaubens willen standen sie vieles durch und bestanden schließlich das Martyrium. Aber von beiden wird erzählt, dass es auch andere Zeiten in ihrem Leben gab. Es gab Zeiten, da lagen sie buchstäblich am Boden.
Das war bei Paulus vor Damaskus. Ein junger fanatischer Mann wird aus der Bahn geworfen. Es haut ihn im wahrsten Sinn des Wortes auf die Schnauze. Er ist am Boden zerstört. Blind ist er, heißt es. Er weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Er braucht Menschen, die ihn an die Hand nehmen und wieder aufrichten. Er muss geführt werden. Und Hananias hilft ihm wieder auf die Beine.
Auch Petrus ist am Boden, erzählt die heutige Lesung. Gefesselt und abgeschottet liegt er im Kerker. Eigene Kraft und Tüchtigkeit helfen nicht weiter. Es braucht einen Engel, der einen Hoffnungsschimmer ins dunkle Verlies bringt. Petrus braucht einen Rippenstoß. In seiner Ohnmacht braucht er direkte Handlungsanweisungen: „Schnell steh auf...Gürte dich und ziehe deine Sandalen an...Wirf deinen Mantel um und folge mir!“ Durch die führende Hand eines Engels kommt Petrus wieder auf die Beine.

Wer führen will, von dem erwartet man heutzutage viel. In einem sogenannten Assessment-Center, einem Prüfstand für neue Führungskräfte, wird er auf Belastbarkeit und Standfestigkeit geprüft und ihm dadurch gezeigt, bei uns ist Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Standfestigkeit angesagt. Von Führungskräften erwartet man, dass sie nichts so schnell umhaut. Und wehe, der Erfolg bleibt aus. Wie schnell wird man dann abserviert.

Petrus und Paulus hätten da heute schlechte Chancen.
Die Urkunden unseres Glaubens erzählen: Diese Führergestalten brauchten erst selbst eine führende Hand. Die brauchten eine Hand, die sie aufrichtet und ihnen auf die Beine hilft. Eine Hand, die ihnen den Weg weist. Und doch wurden gerade diese beiden zum großen Rückgrat der jungen Kirche. Die beiden waren es, die die junge Kirche auf ihren Kurs in die Zukunft führten.

Es braucht nicht immer die strahlenden, vital wirkenden, Optimismus und Erfolg ausstrahlenden Führungstypen, die Menschen führen können und an denen Menschen sich aufrichten können. Das sagt mir das heutige Fest, an dem unsere Kirche Petrus und Paulus feiert. Manchmal sind es sogar Menschen, die da liegen und sich nicht mehr helfen können. An denen sich aber trotzdem andere halten können und die anderen helfen, wieder aufzustehen. Petrus Ceelen hat eines seiner Bücher einer solchen Frau gewidmet. Da lese ich auf der ersten Seite des Buches:

Für Waltraut

Sie kann nicht stehen,
meist nur liegen.

„Sie leiden an multipler Sklerose.
Sie haben noch zwei Jahre oder länger.“

Das sagte der Arzt vor 42 Jahren.
In diesem Jahr wird Waltraud siebzig.

Die starke Frau hilft anderen,
ihr schweres Leben zu bestehen
und jeden Tag neu aufzustehen.


Fürbitten

Wir feiern heute das Fest der Apostel Petrus und Paulus. Wir bitten dich:

Wir beten für alle Frauen und Männer in hohen Führungspositionen:
- Um Bewahrung vor Selbstüberschätzung und unmenschlichen Anforderungsprofilen

Wir beten für die Führungskräfte unserer Kirche:
- Um Offenheit für Gottes Wort und die Sehnsüchte und Nöte heutiger Menschen

Wir beten für alle Frauen und Männer, die in Gefängnissen sitzen:
- Um menschenwürdige Haftbedingungen und eine faire Rechtssprechung

Wir beten für alle Kranken, die schwere unheilbare Krankheiten zu Boden drücken, besonders für einen Mann mit unheilbarem Gehirntumor und einen Herzkranken, für den es ohne ein Spenderherz keine Hoffnung gibt:
- Um die nötige Kraft

Wir beten für unsere Verstorbenen:
- Um die Vollendung ihres Lebens in der Gemeinschaft der Heiligen


Pfarrer Stefan Mai

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