Eine sonderbare Truppe

Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis (Mt 9,9-13)

Im Hinblick auf die beginnende Europameisterschaft hat Mercedes Benz im Stil eines alten Luis Trenker Films einen gekonnten Werbespot kreiert: Die deutsche Fußballnationalmannschaft steht mit ihrem Bergführer vor dem Matterhorn und blickt ihrem Ziel ins Auge. Es gilt den Gipfel zu erklimmen. Und in Schwarz–Weiß wird auf einer Tafel eingeblendet: „Ihr habt einen weiten Weg vor euch.“ Die Mannschaft geht los, ein endlos beschwerlicher Weg, es geht über steile, verschneite Gratwege und an einer gefährlichen Stelle stürzt ein Kamerad ab. Doch blitzschnell reagiert die Bergmannschaft. Jens Lehmann und seine Mannen halten den abgestürzten Kameraden am Seil und zerren ihn wieder in Sicherheit. Und wieder in Schwarz-Weiß erscheint ein Spruch: „Der Weg ist schwer“. Die Mannschaft stapft weiter und nach vielen Mühen steht sie am Ziel ihrer Träume, auf dem Gipfel. Und mit stolz geschwellter Brust schauen Kapitän Ballak und seine Fußballkollegen in die Weite. „Wir lassen euch nicht allein!“ ist am Ende zu lesen.
Werbefachleute haben hier einen raffinierten Werbespot kreiert, der den Teamgeist einer Elite-Truppe beschwören will und auch um die Sympathie und Solidarität der Zuschauer wirbt. Er will den Stolz auf die deutsche Fußballmannschaft stärken und noch so nebenbei zum Kauf eines Mercedes animieren.

„Mein Gott“, kann man da nur sagen, „was hat sich dieser Jesus nur gedacht, als er sich seine 12-er Mannschaft zusammengesucht hat? Er hatte doch ein großes Ziel vor Augen. Er war doch von dem großen Traum ergriffen, das Reich Gottes in ganz Israel zu verkünden und die Leute es schon erleben zu lassen. Dafür bräuchte er doch Spitzenleute!
Was har er sich da nur gedacht, den Großsprecher Petrus als Mannschaftskapitän zu bestimmen, dem dann das Herz in die Hosen rutscht und der feige die Flatter macht, als es brenzlig wird? Was hat er sich nur gedacht, für Judas seine Hand ins Feuer zu legen, der ihn dann für ein paar schnöde Groschen verkauft? Was hat er sich dabei gedacht, einen Thomas mit zu nehmen, der dann ewig zweifelt, ob er richtig mit Jesus dran ist? Was hat er sich dabei gedacht, mit Simon Kanaanäus einen Mann mit zelotischer Vergangenheit, d. h. einen Rechtsradikalen in seine Truppe aufzunehmen, der früher mit aller Gewalt und allen Mitteln die Römer aus Israel hinauswerfen wollte? Von einer Elitetruppe, von erstklassigen Leuten mit nachgewiesener Erfahrung und hehren Motiven kann da wahrlich nicht die Rede sein. Da brauchst du doch nur die beiden aufbrausenden Donnersöhne Jakobus und Johannes anzuschauen, die am Ende nur ihre Karriere im Kopf haben und sich einen guten Platz für später sichern wollen. Und im übrigen: Was kann man schon von einfachen Fischern erwarten?
Und was brockt sich Jesus da für vorprogrammierte Konflikte in seiner Mannschaft ein, wenn er im heutigen Evangelium an der Zollschranke stehen bleibt, dem Zöllner Matthäus zuschaut, wie er im Namen der Besatzer die jüdischen Fischer und Handwerker abzockt. Und ihn dann noch einlädt, mit ihm zu gehen. Zöllner, das waren für Fischer wie Petrus und Co und einem rechtsradikalen Simon mehr als nur ein rotes Tuch. Wie soll das nur gut gehen? Was nur hatte sich dieser Jesus bei der Auswahl und Zusammenstellung seiner bunten Mannschaft nur gedacht?“
Jesus hatte einen Traum. Er wollte mit seiner Idee von der Gottesherrschaft alle Schichten und Gruppen seines Landes Israel ansprechen. Und er war davon überzeugt, dass er dafür in seiner Truppe nicht nur makellose Vorzeigefiguren, sondern vor allem Vertreter aus den verschiedensten Schichten und Mentalitäten braucht. Und er wollte in seinen Mählern zeigen, dass trotz aller Unterschiede und Vorurteile, trotz aller Rangeleien und Spannungen dieser Traum von der Gottesherrschaft ein Stück schon hier und heute verwirklicht werden kann. Und Jesus ist davon überzeugt: Gott interessiert sich mehr für die Menschen mit gebrochenen Biographien als für die selbstherrlichen Gerechten. Er achtet mehr darauf, ob wir barmherzig sind, als darauf, ob wir fromm, leistungsstark und opferbereit sind.
Liebe Leser, wenn ich auf diesem Hintergrund auf unsere Kirche schaue und darüber nachzudenken anfange, warum unsere Kirche heute nach Aussage der Soziologen nur noch die gesellschaftlichen Milieus der bürgerliche Mitte und der Traditionsverwurzelten erreicht und bei den übrigen acht vorhandenen Milieus kaum einen Fuß mehr in die Tür bringt, dann muss ich mir sagen: Das hat damit zu tun, dass wir in unseren kirchlichen Führungsgremien, angefangen von den Pfarrgemeinderäten bis zu den höchsten Gremien auf Diözesan- und Bischofskonferenzebene die waghalsige Buntheit der Truppe eines Jesus von Nazareth aufgegeben haben und der Barmherzigkeit Gottes gegenüber unseren Fehlern und Macken nur noch wenig zutrauen.


Pfarrer Stefan Mai

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