Worte, auf die man bauen kann?

Predigt zum 9. Sonntag im Jahreskreis (Mt 7,21-27)

Ich habe noch ein Bild von der schweren Überschwemmungskata-strophe vor ein paar Jahren in England vor Augen: Fast alle Häuser des Dorfes standen unter Wasser. Nur die alte gotische Kirche und ein paar Häuser in ihrer unmittelbaren Umgebung kamen ungeschoren davon. Der Grund: Für ihre Kirche und den alten Dorfkern wählten die Menschen vor vielen hundert Jahren eine felsige Anhöhe aus. Aus Jahrhunderte langer Beobachtung und Erfahrung wussten sie: Dieser Platz bleibt in der regenreichen Gegend immer sicher. Mag es noch so regnen und stürmen, die Wasserfluten können diesem Ort, auf dem die Kirche gebaut ist, nichts anhaben, ihn nicht unterspülen und wegschwemmen. Und der Reporter kam ins Schwärmen über die Beobachtungsgabe und Weisheit der Alten. Sie wussten, wohin sie bauen konnten, ohne allzu große Risiken einzugehen. Er lobte die Gabe der Zurückhaltung, des Risikobewusstseins und der Bereitschaft, Grenzen, die die Natur vorgibt zu achten und nicht einfach drauf los zu bauen, in der Hoffnung, es wird schon alles gut gehen.
Immer häufiger zeigen es doch die Überschwemmungskatastrophen, die Lawinenunglücke und Erdrutsche: Am schlimmsten sind immer die Orte betroffen, an denen der Mensch trotz besten Wissens um die Gefahr aus Leichtsinn oder Profitgier zu nah an risikoreiche Gegenden heran baute, wo er in einer gewissen Selbstarroganz und Selbstüberschätzung, mit seiner Berechnung, Hochtechnik und Sicherheitsvorkehrungen hätte er alles im Griff, Hotels oder Skihütten in Gebiete setzte, die die Alten nie anrührten. Wo aus Profitgier Ferienparadiese an Meeresstränden aus dem Boden gestampft wurden, wo die Einheimischen vor Jahrhunderten sich nie hin gewagt hätten.

Eine ähnliche Erfahrung greift Jesus im heutigen Evangelium auf. Er erzählt von zwei Männern. Der eine baut sein Haus auf felsigem Grund, der andere auf sandigem. Und dann kommen die Stürme und rütteln am Haus, ein Wolkenbruch fällt vom Himmel und die Wassermassen fluten heran. Das Haus auf sandigem Grund wird hinweggespült, das Haus auf dem felsigen behält seine Standfestigkeit. Und wir verstehen sofort, was Jesus mit diesem Gleichnis meint: In den Stürmen des Lebens zeigt sich am deutlichsten, ob wir unser Leben auf Fels oder auf Sand gebaut haben. Wenn Lebensperspektiven zusammenbrechen und Unvorhergesehenes über uns hereinbricht, dann so Jesus, glücklich der Mann oder die Frau, die ihr Lebenshaus auf tragfähigem Grund gestellt haben. Die spannende Frage ist, was ist für Jesus dieser sichere felsige Grund, auf dem man sein Lebenshaus bauen soll?
Ich stutze. Ich höre nichts von guten, tragfähigen Beziehungen. Nichts von einer Arbeit, die mich ausfüllt und glücklich macht. Und schon gar nichts von beruhigenden Finanzpolstern. Was Jesus mit den tragfähigen Felsengrund meint sind die Worte der Bergpredigt. Wir haben manche im Ohr:

Selig die Armen im Geist, denn ihnen gehört das Himmelreich...
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden...
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Wer dich auf die rechte Wange schlägt, dem halt auch die andere hin...
Achtet darauf, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen übt, um von ihnen gesehen zu werden, sonst habt ihr keinen Lohn zu erwarten...
Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören...sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel...
Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das sollt auch ihr ihnen tun...


Das sind bei Gott nicht Worte, mit denen wir uns leicht tun. Das sind kantige, schroffe Worte. Am Ende der Bergpredigt meint aber Jesus: Wer diese kantigen Felsenworte hört und danach handelt ist wie ein Mann, der sein Haus auf Fels baute. Es mag sein, dass man mit den Worten der Bergpredigt keine Politik machen oder Verfassungen entwerfen kann, es mag sein, dass diese Worte heutzutage als überzogen und überspitzt und nicht lebenstauglich empfunden werden. Jesus lässt es sich nicht nehmen: Wer diese Worte ernst nimmt und sie ins Leben zu übersetzen versucht, in dem wächst eine Lebenshaltung, die den Stürmen und Wolkenbrüchen des Lebens trotzt.


Pfarrer Stefan Mai

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