Die Lebenskunst Jesu

Predigt zum 8. Sonntag im Jahreskreis (Mt 6,24-34)

Das Schulfach „Lebenskunst“ gibt es nicht. Die Schulen betonen zwar nach wie vor, ihre Schüler müssten nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen. Aber nie wird man den Schülerzweifel ausräumen können, dass der Stoff, den sie lernen, wirklich mit dem Leben zu tun hat. Nicht nur mit dem späteren beruflichen, sondern vor allem mit der Frage, wie man sein Leben gut und zufrieden in alle Höhen und Tiefen meistern kann. Schüler machen schnell die Erfahrung, wenn ihre Lehrer über den Schulstoff hinaus wirklich sich einmal auf solche Fragestellungen einlassen, dass sie sehr unterschiedliche Meinungen haben über das Wichtige, was ein Leben zufrieden und glücklich machen kann. Und auch Erwachsene spüren immer mehr, dass im Zeitalter des Pluralismus sie sich bei der Orientierungssuche wie in einem Wald von Wegweisern vorkommen, die alle in verschiedene Richtungen zeigen.

Die Bücherregale unter den Sparten Ratgeber, Lebenshilfe, Esoterik borden über. Und ich habe den Eindruck, den Kirchen wird immer weniger eine befriedigende Antwort auf die Frage zugetraut: Worauf kommt es im Leben wirklich an? Und wie finde ich zu einem glücklichen Leben? Was kann mir Zuversicht, Optimismus und Widerstandskraft vermitteln, Haltungen, die zur Bewältigung des Lebens unentbehrlich sind? Seitdem dieses Vertrauen verloren gegangen ist, blicken viele erwartungsvoll in Richtung Osten und halten Ausschau nach Weisheitslehrer, die auf die Frage, wie man leben soll, die Antwort kennen.
Egal, wo im Westen der Dalai Lama auftritt, hat er volle Säle und zig-Tausende kleben ihm an den Lippen. Seine Botschaft, die er vermittelt ist recht einfach. Mit großer Freundlichkeit und menschlicher Wärme richtet er an die westliche Welt seine Botschaft: Ich bin ein Mensch wie ihr. Wie in jedem von euch wohnt auch in mir die Sehnsucht nach Glück. Wie aber gelangt ein Mensch zu einem glücklichen Leben? Nicht durch Äußerlichkeiten und nicht durch immer mehr Wohlstand und Besitz. Er gelangt dorthin, wenn er mit sich selbst und mit anderen Menschen in Frieden lebt. Es sind Worte, die bei vielen wie Öl runterfließen.

Heute wurden uns im Evangelium die Ratschläge Jesu zu einem glücklichen Leben vorgelesen. Es sind nicht Worte, die wie Öl hinunterfließen. Es sind Worte mit Widerhaken. Absicherungsdenken, Vorsorgedenken, das heutzutage als höchster Wert und als ein Muss eines verantwortlichen Staatsbürgers gilt, wird hier als Lebenskiller geoutet. Wer sich Sorgen für 30 Jahre im Voraus macht, rafft alle Sorgen der Zukunft auf sich und das lähmt! Nimm den Tag mit seinen Herausforderungen an wie die Vögel und die Lilien, sonst bist du mit deinen Sorgen immer woanders und gehst am eigentlichen Leben vorbei. Überschätze doch nicht deine eigene Kraft und trau auch noch der Fürsorge Gottes etwas zu. Und merke dir, du gehst an einem gelungenen Leben vorbei, wenn du nur an dein Glück, an dein Wohl, an deine Bedürfnisse denkst. Das bringt dich doch nur dahin, dass du nur noch um dich kreist, dich in dich selbst verschließt oder andere unter deine Herrschaft bringen willst. Wenn du die Kunst eines guten und zufriedenen Lebens lernen willst, dann musst du weg vom Denken: „Hauptsache ich bin glücklich!“ Dann musst du kapieren: Lebensglück ist unabhängig von den Dingen dieser Welt. Wer auf Dauer die Kunst eines gelungenen Lebens lernen will, der muss sich für eine Idee einsetzen, „der muss sich ein Objekt der Hingabe suchen, um seine Energien in eine Richtung zu lenken,“ wie es Erich Fromm einmal formuliert hat. Anders kann ich die Worte Jesu nicht verstehen: „Euch muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben!“

Liebe Leser! Diese Erfahrung habe ich in der Schule des Lebens schon oft gemacht: Nicht die Worte, die wie Öl in mir hinunterfließen, sind es, die in erster Linie mir zu einem gelungenen Leben verhelfen. Oft sind gerade die widerborstigen Worte, die wegen ihrer scheinbaren Lebensfremdheit und Sperrigkeit sich wie mit einem Widerhaken in mir festsetzen, ein Anstoß zu neuen Denkwegen in Richtung gelingendes Leben.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de