Hinauf oder unter seiner Obhut?

Station zum Fronleichnamstag

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Kirchenbauten der westlich römischen Kirche sich in der Architektur von den russisch- oder griechisch orthodoxen Kirchen in einem Punkt wesentlich unterscheiden? Die westlichen Kirchen ragen meist mit einer Kirchturmspitze zum Himmel empor. Die gotischen Kathedralen erreichen dabei Schwindel erregende Höhen. Es hat fast den Anschein, sie möchten den Himmel ergründen und erforschen, die Köpfe der Menschen zum Himmel empor reißen und in eine Bewegung zum Himmel hinauf mitnehmen.
Ganz anders die Architektur der Ostkirchen. Auch die kleinsten Kirchen bestehen aus mehreren runden Kuppeln und kleinen Türmchen. Mir scheint, die orthodoxen Kirchen wollen nicht wie die westlichen Kirchenbauten den Blick nach oben reißen und den Himmel ergründen. Mit den Kuppeln wölbt sich der Himmel über den Kirchenbesuchern und spannt sich über sie aus. Die kleinen Kuppeln vermitteln das Gefühl, als nehme der Himmel die Gläubigen in seine Obhut und kommt auf sie zu. Und meist ist in die Kuppel Christus gemalt. Wer zu ihm hoch schaut, hat das Gefühl, als komme ihm der segnende Christus aus der Kuppel entgegen, umgreife ihn und sagt: Bei mir kannst du dich geborgen fühlen!

Die kleinen Kuppeln der Ostkirchen setzen für mich auch das Evangelium ins Bild, das wir heute hören: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wäre es nicht so, hätte ich es euch dann gesagt: Ich gehe, um euch einen Platz zu bereiten? Und wenn ich gegangen bin und euch einen Platz bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin (Joh 14,2.3)

Vielleicht können wir auf diesem Hintergrund unsere Fronleichnamsprozession durch die Straßen unserer Stadt Schweinfurt einmal unter einem anderen Gesichtspunkt anschauen als wir es gewöhnlich tun: Nicht wir müssen auf Jesus in den Straßen unserer Welt hinweisen und auf ihn in der Öffentlichkeit aufmerksam machen. Sondern wir feiern das Geheimnis unseres Glaubens, dass er uns schon immer auf allen Straßen des Lebens entgegenkommt, bevor wir uns zu ihm aufmachen.


Pfarrer Stefan Mai

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