Wer sucht wen?

Predigt zum Dreifaltigkeitsfest

Einleitung

Das Feuer ist schon immer ein Bild für die Liebe. Lieben, so sagt der Volksmund, heißt: „Feuer und Flamme sein“. „Für jemanden brennen.“ Auffällig ist, dass Gott sich oft in der Bibel als Feuer offenbart. Gott zeigt sich im brennenden Dornbusch. Er geht in der Feuersäule den Israeliten voran. Es fällt Feuer vom Himmel, als Mose die Gesetzestafeln erhält. Das will doch etwas zum Ausdruck bringen! Ebenso wenn im Pfingstbericht Feuer vom Himmel fällt oder in der christlichen Bildtradition manchmal die Dreifaltigkeit als drei Flammen, die sich zu einer vereinen, dargestellt wird.

Predigt

Wenn ein junger Mann in die Gemeinschaft der Benediktiner eintreten will, dann wird er gefragt: „Freund, wozu bist du gekommen? Suchst du wirklich Gott?“ Die Suche nach Gott ist die Grundbedingung, in die Fußstapfen des Ordensgründer Benedikt zu treten, der einmal auf die Frage, was denn einen guten Mönch ausmache, zur Antwort gab: „Dass er beharrlich Gott sucht!“ Und täglich begegnen dem Mönch dann fünf Mal im Chorgebet die Psalmen, deren Grundmelodie diese Sehnsucht nach Gott ist, dieser Wunsch, ihm zu begegnen, ihn zu spüren und ihn zu finden. Dauernd begegnen ihm in den Psalmen Worte wie: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.“ (Ps 63,2) Oder: „Mein Herz denkt an dein Wort: Sucht mein Angesicht! Dein Angesicht will ich suchen.“ (Ps 27,8) Und diese zeigen ihm: Das gilt ein Leben lang. Mit Gott kommt man nie an ein Ende. Und solange diese Sehnsucht in einem Menschen brennt, ist die Beziehung zu Gott lebendig.
Wären Sie heute hier, wenn nicht auch in Ihnen diese Sehnsucht, von Gott etwas zu spüren, brennen würde? Religion ist Suche des Menschen nach Gott. Auf Dauer gäbe es sie nicht, wenn nicht diese Sehnsucht in uns brennen würde. Sie ist so stark wie die Sehnsucht nach Glück, der Durst nach Angenommensein und echter Wärme. Und wenn auch diese Sehnsucht nach Gott genauso wie die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit nie gänzlich gestillt wird, „wie traurig wäre die Welt ohne die Schwermut aus ungestillter Sehnsucht!“, wie es der Dichter Stefan Andres einmal ausgedrückt hat.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, woher es wohl kommt, dass im Menschen dieser Durst nach Lebenssinn brennt, der über die Grenzen des Alltagsdasein hinausgeht? Ob es nicht sein kann, dass diese Sinn-Sehnsucht von einer anderen Sehnsucht geweckt wird, die uns sucht? Kann es nicht sein, dass Gott selbst Sehnsucht nach mir hat, auf mich wartet, mir begegnen möchte? In einer kühnen Anrede spricht die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von Magdeburg einmal Gott mit den Worten an: „Du brennender Gott in deiner Sehnsucht!“ Sie behauptet: Gott brennt in Sehnsucht nach dem Menschen. Wie ein Liebender hat er Sehnsucht nach dem Menschen. Die Beziehung zum Menschen ist sein Lebenselixier.
Erstaunlich ist, wie Künstler des frühen Mittelalters die Herzlichkeit und Zuwendung des Schöpfers zu seinem Geschöpf, diese brennende Sehnsucht nach dem Menschen, dargestellt haben: Am Südportal der Kathedrale von Santiago de Compostella steht Gott neben Adam. Beide schauen nach vorne. Und er legt seine rechte Hand auf das Herz Adams und legt die linke um seine Schultern. So schickt er Adam ins Leben, wird ihm nachschauen und ihn im Blick behalten. Gegenüber ist die Erschaffung der Eva dargestellt. Auch ihr legt er seine rechte Hand auf das Herz. Mit der linken stützt er ihren Kopf und schaut sie freundlich an. Und das Gesicht der Eva leuchtet auf. Freude und Lachen liegen auf ihrem Antlitz. Und der Betrachter hat den Eindruck: Dieser sehnsuchtsvolle und freundliche Blick wird sich unvergesslich in Herz und Verstand eingravieren.

Liebe Leser, das Dreifaltigkeitsfest, mit dem wir uns verstandesmäßig nicht leicht tun, will nichts anderes als Gott als einen beziehungsfreudigen Gott feiern: „Du brennender Gott in deiner Sehnsucht!“ Und behauptet: Diese Sehnsucht Gottes hat sich tief in unser menschliches Herz eingebrannt und möchte in uns die Sehnsucht nach Gott wach halten: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir!“ Mögen die brennenden Flammen im Altarraum sich uns als Bild für diese brennende Sehnsucht einprägen.


Pfarrer Stefan Mai

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