Die Keimzelle des Christentums

Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit (Apg 1,12-14)

Die Keimzelle des Christentums ist nicht eine große Kirche, kein stimmungsvoller und erhebender Gottesdienst mit einer zündenden Predigt und beschwingten Liedern.
Die Keimzelle des Christentums ist auch nicht die Zelle eines frommen Mönches, der in sich versunken meditiert.
Die Keimzelle des Christentums ist auch nicht die Studierstube eines genialen Denkers und Gelehrten, der seine Gedanken in Büchern niederschreibt.
Die Keimzelle des Christentums ist eine Wohnung. Wir haben es heute in der Lesung gehört: „Als Jesus in den Himmel aufgenommen war, kehrten die Apostel vom Ölberg...nach Jerusalem zurück. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie ständig blieben.“ Hier in dieser Wohnung wird sich das Geburtsfest der Kirche, Pfingsten, ereignen. Und Jahrhunderte lang wird sich das Christentum in Häusern entwickeln. Davon erzählen die Apostelgeschichte und Paulus ausführlichst.
Die Grundhaltung des entstehenden Christentums ist nicht: „Gleich und gleich gesellt sich gern“, ist nicht gleichgeschaltete Einheitlichkeit. Sie wird ausdrücklich mit dem Wort „einmütig“ umschrieben. Es heißt in der Apg: Im Obergeschoß waren „Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Tomas, Bartolomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.“ Ganz gegen den Stil der Zeit beten Männer und Frauen zusammen. Selbst die Angehörigen Jesu, die mit ihrem Familienflüchtling Jesus und dessen neuen Kumpanen ihre Schwierigkeiten hatten, tun sich mit den Freunden Jesu in dieser Wohnung zusammen und so heißt es „verharrten einmütig im Gebet.“
Die Keimzelle des Christentums: die Wohnung, die Grundhaltung: Einmütiges Verharren im Gebet.
„Einmütigkeit“ heißt nicht Einheitlichkeit, nicht verordnete Marschlinie. „Einmütig“ heißt für mich: Da kommen völlig unterschiedliche Menschen zusammen, verfolgen aber mutig ein gemeinsames Ziel, wollen sich dafür gemeinsam einsetzen und beten auch um das Gelingen. Sie waren nach der Himmelfahrt ein Stück orientierungslos, wussten nicht, wie es mit der Botschaft Jesu weitergehen soll. Sie hatten aber den Mut, diese Unsicherheit auszuhalten und im Gebet miteinander um Klarheit zu bitten.
Ob das nicht genau die Haltung ist, die wir gerade in den großen Umbruchszeiten in unserer Kirche bräuchten, dieses einmütige Ausharren. Es wird soviel von kooperativer Pastoral geredet, soviel von Zusammenarbeit und Synergieeffekten. Es werden mehr und mehr Pfarreiengemeinschaften gegründet, aber gibt es diese „Einmütigkeit“? Zäh und mutig nach Formen zu suchen, wie wir die Botschaft Jesu an die nächste Generation glaubhaft weitergeben können?
Ich bin überzeugt, ob das Christentum bei uns wieder neue Vitalität gewinnt, hängt letzten Endes nicht in erster Linie an unseren Seelsorgestrukturen, egal wie sie in Zukunft ausschauen mögen. Das hängt an der Frage, ob sich in unseren Gemeinden wieder unterschiedliche Menschen einmütig zusammenfinden, um miteinander den Glauben zu leben und ihn weiterzugeben.
Es wird darauf ankommen, ob sich Eltern- und Familieninitiativen in Wohnungen und Häusern bilden werden, die den Mut haben, sich zu fragen: Was ist uns selbst am Glauben wichtig, wo trägt er uns im Leben, welche christlichen Werte sind einfach ein Mehrwert im Leben und wie können wir dies mit Kindern und Enkeln neu einüben und auch im Alltag zu leben versuchen?
Es wird in Zukunft darauf ankommen, ob sich unterschiedliche Menschen in unseren Gemeinden zusammentun und sagen: Wir machen nicht gedankenlos beim Festtagsreisefieber unserer Gesellschaft mit, sondern bleiben bewusst an den großen christlichen Festen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten zuhause, und feiern die Fundamente unseres Glaubens, weil sie mit ihren Inhalten uns auch ein tragfähiges Fundament im Leben geben.
Es wird darauf ankommen, ob wir in unserer Kirche nach gemeinschaftlichen Formen suchen, in der unterschiedlichste Menschen mutig ein gleiches Ziel verfolgen, von dem sie überzeugt sind: Dieses Anliegen ist für unsere Gesellschaft und ein besseres Leben wichtig.

Liebe Leser, die Apostelgeschichte beschreibt, wie die junge Kirche entstanden ist, wie aus der krisengeschüttelten Jesustruppe eine weltweite Bewegung geworden ist. Nochmals: Die Keimzelle dieser Bewegung war eine Wohnung und es waren Menschen die sich „einmütig“ zusammenfanden.


Pfarrer Stefan Mai

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