Christi Himmelfahrt

Ich kenne kein Fest im Kirchenjahr, das so wenig Resonanz bei den Gläubigen findet, wie das Fest Himmelfahrt. Das liegt nicht nur an der günstigen Frühlingsjahreszeit, die viele Menschen einlädt, mit einem Urlaubstag am Freitag sich eine halbe Urlaubswoche zu gönnen und wegzufahren. Deshalb überall heute schon wieder die Warnung vor den großen Staus.
Das liegt auch daran, dass der Himmel im Bewusstsein der Menschen an Bedeutung für ihr Leben verloren hat. Viele können mit Himmel nichts mehr anfangen. Für viele ist Himmel die jenseitige Welt, die erst nach dem Tod eine Rolle zu spielen beginnt.
Der Himmel spielt nicht ins Leben herein, wird nicht so recht spürbar im Hier und Heute.

Die Ostkirche geht hier einen ganz anderen Weg. Ihrer Liturgie gibt sie den Namen "himmlische Liturgie" und ist fest überzeugt: Da verbinden sich Himmel und Erde. Keine Ikone gibt es in der Ostkirche, die nicht auf goldenem Hintergrund gemalt wäre. Gold ist in der Ostkirche die Farbe des Himmels. Und sie ist überzeugt: von diesen Bildern her leuchtet ein Stück Himmel in das Leben der Menschen hinein. Je intensiver ich vor den Ikonen bete und mich mit ihnen beschäftige, desto deutlicher leuchtet mir das wahre Bild von Gott und Jesus auf. Durch die Ikone wird die himmlische Welt jetzt schon präsent und wirksam.

Bevor früher eine Ikone zur Verehrung freigegeben wurde, erhielt sie die Weihe durch einen Priester. Dieser schrieb dann eigenhändig den Namen von Christus, des Heiligen oder der Gottesmutter oben auf die Ikone. Damit bestätigte er und besiegelte es, dass die Ikone nach den althergebrachten Regeln gemalt wurde und in der Darstellung ganz der Wahrheit des Evangeliums entspricht. Vor der Weihe jedoch stellte der Priester die Ikone vierzig Tage lang in seiner Kirche auf.

Während dieser Zeit verlor die Ikone auch ihren Geruch von Farbe und Firnis und nahm mit dem Weihrauch den typischen Kirchengeruch an. Oder er legte sie gar auf den Altar, um sie besonders bei der Eucharistiefeier mit Gnade "aufzuladen". In der vierzigtägigen Weihezeit betete er, dass das Urbild im Himmel seine himmlische Präsenz, seine Ausstrahlung und seine wundertätige und wirkmächtige Kraft auf die Ikone übertragen möge. Somit können dann später die Menschen, die vor der Ikone beten, teilhaben an den göttlichen Gaben und Kräften.

Diesem Glauben an das Hineinwirken des Himmels in das leben der Menschen bringt eine Erzählung des Russen Nikolaj Leskov mit dem Titel "Der versiegelte Engel" ins Bild:
Eine Gruppe von Steinmetzen zog durch Russland, die in ihrem Gepäck eine Engel-Ikone mit sich führten, vor der sie nach getaner Arbeit gemeinsam beteten. sie waren fest davon überzeugt, dass sie es dem Engel zu verdanken hätten, dass sie überall Anstellung und Auskommen fanden. In der Ikone - so glaubten sie - sei der Engel selbst unter ihnen gegenwärtig und bewahre sie mit seiner himmlischen Kraft vor allem Unheil. Als den Steinmetzen jedoch durch widrige Umstände die Ikone genommen wurde, fühlten sie sich schutzlos bösen Geistern ausgeliefert. Erst nachdem die Ikone zu ihnen zurückgekehrt war, konnten sie wieder in Frieden miteinander leben und arbeiten.

Liebe Leser! Ich denke wir spüren, wie dieser Glaube: "Der Himmel ist schon hier im Leben der Menschen dabei und wirksam" - gläubige Menschen tragen kann.
Vielleicht kann das Fest Christi Himmelfahrt für uns aufgeklärte Leute einmal wieder ein Anstoß sein, den Himmel nicht auf "irgendwann" zu verschieben, sondern mit ihm schon hier und heute zu rechnen.


Pfarrer Stefan Mai

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