Das Meisterwerk im Dorfkino

Predigt zum 5. Sonntag in der Osterzeit (Joh 14,1-12)

Der Apostel Philippus gehört im Johannesevangelium zu den Suchertypen und hartnäckigen Fragern. „Herr, zeig uns den Vater, das genügt uns!“ Mit dieser Aufforderung tritt er an Jesus heran. „Zeig uns doch Wege auf, wie wir etwas von Gott spüren können, wie wir ihn erfahren können, wie wir mit ihm in Verbindung treten können. Wie wir merken können, dass er einfach da ist in unserem Leben.“ Und Jesus kontert: „Schau doch auf mich. An mir kannst du etwas ablesen, durch meine Person ihn erfahren. Das was ich tue, so wie ich rede und handle ist ein Fingerzeig auf ihn. Das muss dich doch überzeugen!“

Ist es heute anders? Ich behaupte: Nein! Die Sehnsucht nach Gott ist auch heute noch nicht gestorben. Die Hoffnung, am Leben von gläubigen Menschen ablesen zu dürfen, wie man mit Gott in Verbindung treten kann. Das ist auch die Erwartung an uns als Kirche: Lasst uns doch an eurem Leben, an eurem Denken und Handeln, an eurem Lebensstil und an euren Gebeten, an eurem Umgang mit Menschen und Einsatz für andere, erkennen, dass dieser Gott eine Realität im Leben ist. Dass mit ihm jeder Zeit zu rechnen ist.

Und wie deprimierend ist es dann oft für Menschen, die sich auf die Suche nach Gott machen und in unseren Reihen nach einem Weg suchen. Wie oft kommen dann Menschen zum deprimierenden Ergebnis: Unglaubwürdig, veraltet, vergilbt, unbeweglich, geradezu unmenschlich, wenig erhellendes und Leben förderndes. Und wie schnell wenden sich dann Menschen wieder von der Kirche ab. Wenn sein Bodenpersonal so drauf ist, dann kann es mit diesem Gott nicht weit her sein, so wird häufig dann abgerechnet.

Da ist es für mich tröstlich, was der Quatschmacher Hape Kerkeling in seinem Bestseller „Ich bin dann mal weg“ schreibt. Am 29. Juni 2001 trägt er in sein Tagebuch, das ihn auf dem Jakobusweg begleitet, folgende Gedanken ein:

„Viele meiner Freunde haben sich schon lange von der Kirche abgewendet … Geh mir weg mit Gott, sagen leider die meisten. Ich sehe das anders.
Egal ob Gott eine Person, eine Wesenheit, ein Prinzip, eine Idee, ein Licht, ein Plan oder was auch immer ist, ich glaube, es gibt ihn!
Gott ist für mich so eine Art hervorragender Film wie „Ghandi“, mehrfach preisgekrönt und großartig!
Und die Amtskirche ist lediglich das Dorfkino, in dem das Meisterwerk gezeigt wird. Die Projektionsfläche für Gott. Die Leinwand hängt leider schief, ist verknittert, vergilbt und hat Löcher. Die Lautsprecher knistern, manchmal fallen sie ganz aus oder man muss sich irgendwelche nervigen Durchsagen während der Vorführung anhören, wie etwa: „Der Fahrer mit dem amtlichen Kennzeichen Remscheid SG 345 soll bitte seinen Wagen umsetzen.“ Man sitzt auf unbequemen, quietschenden Holzsitzen und es wurde nicht einmal sauber gemacht. Da sitzt einer vor einem und nimmt einem die Sicht, hier und da wird gequatscht und man bekommt ganze Handlungsstränge nicht mehr mit.
Kein Vergnügen wahrscheinlich, sich einen Kassenknüller wie „Ghandi“ unter solchen Umständen ansehen zu müssen. Viele werden rausgehen und sagen: „Ein schlechter Film.“ Wer aber genau hinsieht, erahnt, dass es sich doch um ein einzigartiges Meisterwerk handelt. Die Vorführung ist mies, doch ändert sich nichts an der Größe des Films. Leinwand und Lautsprecher geben nur das wieder, wozu sie in der Lage sind. Das ist menschlich.
Gott ist der Film und die Kirche ist das Kino, in dem der Film läuft. Ich hoffe, wir können uns den Film in bester 3-D-und Stereo-Qualität unverfälscht und mal in voller Länge angucken! Und vielleicht spielen wir dann ja sogar mit.


„Herr, zeige uns den Vater!“ Mit dieser Bitte trat Philippus an Jesus heran und bekam von ihm zu hören: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen...Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist. Wenn nicht, glaubt wenigstens aufgrund meiner Werke.“
Die Zukunft des Christentums hängt wesentlich davon ab, ob für Menschen manchmal durch uns eine Erfahrung Gottes aufblitzt und sie sagen: „Und vielleicht spielen wir dann ja sogar mit.“


Pfarrer Stefan Mai

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