Da haut’s dich um!

Predigt zum Karfreitag

Szene 1
Zigarettenpause in der Fabrik. Die Arbeitskollegen lästern wieder einmal über die Kirchgänger. Alles falsche Brüder. So komme se daher und hebn die Händ in der Kirch. Und kaum machn se die Kirchentür hinter sich zu, schenten se scho wider über die Leut. Ein scheinheiliger Verein. Fromm – und nix dahinter. Und dazu noch des Gewäsch von denne Pfarrer. Davo kannste doch net leb und net sterb.
Und mitten in diese Schimpferei und in den Zigarettenqualm hört man plötzlich den Ruhigste unter ihnen sagen: Ihr könnt sach, was er wollt. Ich geh’ nei mei Kirch. Und des sach ich euch: So dumm, wie ihr babbelt, wird da lang net gebabbelt. Von euch hab ich noch nie a Wort g’hört, wo sich’s rentiert, dass me drüber nachdenkt.
Den anderen bleibt der Mund offen stehen.

Szene 2
Drei mopsfidele Rentner sitzen auf der Parkbank und reden über Gott und die Welt. Die verschiedensten Themen werden durchgehechelt. Da fährt aus ihrem Stadtteil ein 40jähriger mit dem Fahrrad vorbei, der schon länger arbeitslos ist. „Da, guckt ner a! Dem g’hört des Arbeitslosengeld gstrichen. Der könnt noch schaff. Mit 40 sin mir noch jeden Samstag nei die Buden gerennt. Und der fährt jeden Tag bloß in der Welt spazieren. Was ham mir uns geplagt. Nix krank gemacht. Die kriechen es Geld so einfach nachgschmissen. Und mir arme Renter, scho jahrelang ham mir kei Erhöhung gekriegt, und jetzt woll’n se uns mit 1,7 Prozent abspeis.“
Einer, der bis jetzt nur zugehört hat, unterbricht sie und sagt erbost: „Jetzt hört a mal auf mit euerer Schmarrerei. Ich war fei a e mail e Jahr arbeitslos. Ich wes, was des hesst. En ganzen Tag da rumdapp und sich als Faulenzer vorkomm.“
Und die beiden anderen wechseln das Thema.

Liebe Leser, traue ich mir das zu: Gegen die Meinung der anderen aufzustehen und sagen, was ich denke. Traue ich mich, wenn um mich herum alles anders redet und sich alle einig sind, meine Meinung entgegenzusetzen? Traue ich mir zu, meine Meinung zu sagen, auch wenn ich damit rechnen muss, die anderen lachen mich aus oder lassen mich links liegen? Traue ich mich, für andere Partei zu ergreifen, wenn ich spüre, es wird über sie hergezogen?
Und habe ich das schon einmal gemerkt: Es ist nicht leicht und es erfordert viel Mut. Aber es hat auch Wirkung. Habe ich das schon einmal erlebt: Wo sich Menschen trauen, gegen den Strom zu schwimmen, da wird’s ganz still. Da entsteht Respekt. Da fangen Menschen vielleicht an, neu nachzudenken.

Das Johannes Evangelium erzählt von so einem Menschen: Von einem, der zu seiner Sicht der Dinge steht. Der sich von niemanden etwas vormachen lässt. Der sich in seiner Meinung nicht umwerfen lässt. Egal, wie die anderen über ihn denken und wie sie ihn behandeln. Der mit seinen Fragen andere schachmatt setzt und sie ins Schleudern bringt.
Der selbst dann, wenn er spürt: Jetzt geht’s mir an den Kragen, nicht klein beigibt. Der der höchsten religiösen Autorität seines Landes ins Gesicht sagt: Warum seid ihr so feige und lauert mir hinterhältig auf? Ihr hättet so oft Gelegenheit dazu gehabt. „Ich habe immer in Synagogen und im Tempel gelehrt … im Geheimen habe ich nichts gesprochen“ (Joh 18,20). Und dem, der ihm ins Gesicht schlägt, weist er selbstbewusst zurecht: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, weise das Unrecht nach! War es aber recht, warum schlägst du mich?“
Die erste Szene der Passionserzählung des Johannes, wie in einem Brennpunkt bündelt sie diese Lebenshaltung. Jesus weiß: Es geht mir an den Kragen. Es geht um Leben und Tod. Ich habe keine Chance. Trotzdem versteckt sich nicht vor den Häschern. Wie ein Schutzschild stellt er sich vor seine Jünger – und fragt: Wen sucht ihr? Jesus von Nazareth, schreien sie zurück. Geradezu majestätisch antwortet Jesu: Ich bin’s. Und da haut es den Soldatentrupp zu Boden.
Spüren Sie, was in diesem „Ich bin’s“ steckt? Das ist mehr als „da bin ich“. Da spüren andere: Da ist einer, der steht zu dem, was er sagt. Der nimmt nichts zurück. Der lässt sich nicht verbiegen. Bis zum Schluss nicht. Auch von Machtgebaren und Gewaltandrohung lässt er sich nicht beeindrucken. Und das wirft die Soldaten zu Boden. Das haut sie um.
Liebe Leser, diese Szene lässt uns erahnen: Wo Menschen so wahrhaftig zu ihrer Meinung stehen, wo Menschen standfest für andere einstehen – egal, was mit ihnen passiert, da wird die Welt für einen Augenblick sprachlos. Das ist eine Kraft, die umwerfend ist.


Pfarrer Stefan Mai

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