Eine Frau zeigt ihm, wo er hingehört

Einführung zur Passionsgeschichte am Palmsonntag

Die Männer sind in der Passionserzählung die Macher und Täter der Geschichte. Sie sitzen in der römischen und jüdischen Machtzentrale. Sie haben das Heft in der Hand, schalten und walten, führen Verhöre durch, verurteilen, misshandeln, schlagen ans Kreuz.
Frauen sind in der Passionsgeschichte nur kleine Nebenfiguren. Auffallend ist, dass sie einfühlsam auf Seite des Opfers stehen: Als tief betroffene, Mitleid zeigende und weinende Frauen am Straßenrand, als Sympathisantinnen und Freundinnen, die sich bis unters Kreuz vorwagen, oder auch als Frau des römischen Militärchefs, die ihren Pilatus warnen möchte, sich an Jesus zu vergreifen.

Ziemlich am Anfang der Passionsgeschichte wird in den Evangelien die Verleugnung des Petrus erzählt. Während die anderen Jünger sich schon davongeschlichen hatten, hat er sich noch in den Hof des Hohenpriesters hineingewagt. Sprüche geklopft hat er ja genug: „Und wenn alle an dich Anstoß nehmen – ich niemals. Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen!“ Aber wie schnell wird das gestandene Mannsbild ausgerechnet dann vor einer Magd feige. Meist wird in der Kunst die Magd als Anlass für die Verleugnung des Petrus gezeigt, als Anstoß für diese schmähliche und feige Selbstverleugnung. Wieder einmal ein Frau als Stolperstein für einen Felsenmann?

Um 1660 hat der Maler Rembrandt für mich atemberaubend diese Verleugnungsszene mit der Magd interpretiert. Da verführt ihn nicht die
Magd, sie bekehrt ihn.


- Rembrandts „Verleugnung des Petrus“ -


Die Magd sagt nicht anklagend oder hämisch zu Petrus: „Na, du warst doch auch mit diesem Jesus zusammen!“ Und Petrus reagiert nicht schroff mit einer abwehrenden Geste oder einer verräterischen Unschuldsbeteuerung. Nichts von alldem in Rembrandts Bild. Die Haltung der Magd ist in keiner Weise aggressiv. Eher besorgt fragend schaut sie mit einer Kerze in der Hand Petrus an. Ihr Gesicht liegt im Schatten, das Gesicht des Petrus erscheint im Licht der Kerze. Die Magd hält Petrus das Licht entgegen, als wolle sie damit sagen: Petrus, sei nicht feige! Erkenne dich selbst. Bekenne doch, zu wem du gehörst!“ Und Petrus schrickt nicht vor dem Licht zurück, vor dem Erkanntwerden. Er beteuert nicht seine Unschuld, sondern im Gegenteil: Er schlägt sich, in eine Decke gehüllt, Symbol für das Versteckspiel, das er treibt, mit der Rechten an die Brust. Er beteuert nicht seine Unschuld. Er bekennt seine Schuld. Die Verleugnung wird zur Selbsterkenntnis und Umkehr, ausgelöst durch eine fragende Frau.

Dieses Alterswerk „Verleugnung des Petrus“, wie Rembrandt es malt, ist für mich wie eine Schlüsselfrage zur gesamten Passionsgeschichte. Denn das Anhören der langen Passionsgeschichte gewinnt dann an Tiefe, wenn ich mich von den Figuren der Passion fragen lasse: Wie ist deine Beziehung zu Jesus? Gehörst du zu ihm? Was setzt du für ihn ein?


Pfarrer Stefan Mai

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