Habe ich mich vom Zorn hinreißen lassen? – oder: Der Zorn hat mich beflügelt!

Bußgottesdienst zur Fastenzeit

Lied: 168/1+2

Begrüßung
Habe ich mich vom Zorn hinreißen lassen? So lautet eine berühmte Frage im Beichtspiegel der Kirche. Zorn genießt unter den menschlichen Emotionen keinen besonders guten Ruf. Zorn wird eher auf der Negativseite eingestuft, als eine Eigenschaft, wogegen gekämpft werden muss und überwunden werden soll. Sicherlich, ungezügelter Zorn kann verheerende Folgen nach sich ziehen, er kann aber, so provokativ es klingen mag, auch ein Segen sein. Über unseren Zorn, vor allem aber über den Zorn und seine positiven Seiten wollen wir in diesem Bußgottesdienst nachdenken.

Lied: 168/3+4

Gebet
Gott, du hast uns Hände gegeben,
dass sie behutsam sind,
dass sie geben können ohne Berechnung,
dass sie trösten können und teilen.

Du hast uns Augen gegeben,
dass sie Unscheinbare nicht übersehen,
dass sie Bedürftige wahrnehmen,
dass sich unter ihrem Blick andere wohlfühlen.

Du hast uns Ohren gegeben,
dass sie hellhörig sind für die Stimme der Not,
dass sie das Unbequeme nicht überhören.

Du hast uns einen Mund gegeben,
dass nichts von ihm ausgehe,
was verletzt oder zerstört,
dass er ermutigende Worte ausspreche.

Du hast uns ein Herz gegeben,
dass es Wohnung sei für dich,
dass es großzügig sein kann
und reich an Verzeihung.

Lass uns jetzt nachdenken,
ob wir diese Geschenke recht gebrauchen
zu deiner Ehre und zum Wohl unserer Mitmenschen. Amen

Besinnung
Einspielen von Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“

Kennen Sie dieses Gefühl?
Es kocht in Ihnen...
Sie könnten platzen vor Wut...
Sie sind ganz und gar aus dem Häuschen...
Sie könnten in die Luft gehen oder die Decke hoch...
Wie ein Vulkan bricht es heraus...
Die Zornesröte steigt die Schläfen hoch...
Man könnte den anderen an die Wand pappen...
So einmal richtig Dampf ablassen...
Den anderen zur Sau machen...

L1
Wie gehen Sie mit Ihrem Zorn um?
Halten Sie ihn andauernd unter dem Deckel und wenden ihn gegen sich selbst?
Was haben Sie im Zorn schon alles überlegt, gesagt, getan?
Auf wen sind Sie schon einmal richtig zornig gewesen? Auf wen sind Sie zornig?
Wer hat was und wie in meinem Zorn abgekriegt?

Einspielen von Beethoven „Wut über den verlorenen Groschen“

Zorn wird meist von vorneherein als negatives Gefühl eingestuft, weil er zerstörerisch werden kann.
Das Thema der Misereor Fastenaktion „mit Zorn und Zärtlichkeit“ möchte aber ganz bewusst einmal auf die positive Seite des Zorns aufmerksam machen, auf die verändernde Kraft, die in ihm steckt.
Wie oft spricht die Bibel vom „Zorn Gottes“. Wie oft heißt es da im AT: „Da entbrannte der Zorn des Herrn“. Auch Jesus kennt dieses Gefühl. Im Markusevangelium wird erzählt:

L2: Mk 3,1-5

Haben Sie gespürt, wie die Bibel vom Zorn Gottes redet oder wann sie von einem zornigen Jesus erzählt?
Der Gott der Bibel und Jesus werden zornig, wenn Leben behindert, zerstört, nicht gefördert wird. Wenn Menschen nichts tun, um für Ausgegrenzte, Benachteiligte einzutreten. Wenn sie einfach wegschauen, den Kopf in den Sand stecken, um nichts zu sehen, zu hören, um ihre Ruhe zu haben. Der Gott der Bibel und Jesus werden zornig, nicht um aggressive Gelüste auszuleben. Sie werden zornig, wenn Menschen kaputt gemacht oder einfach stehen oder liegen gelassen werden, weil Menschen ihre Augen zumachen.

Kennen Sie diese positive Kraft des Zorns?

L1
Macht es Sie zornig, wenn Sie lesen, dass ein kleines Mädchen in Kamerun an Durchfall stirbt, nur weil Allerweltsmedikamente fehlen?
Macht es Sie zornig, wenn Wasser für Großgrundbesitzer in Brasilien vorhanden ist, die Felder der Armen aber vertrocknen?
Macht es Sie zornig, dass trotz bester Wirtschaftsdaten auch in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft?
Macht Sie die Tatsache zornig, dass die Kinder sozial schwacher Schichten kaum Chancen auf eine gute Bildung in unserem System haben?
Macht es Sie zornig, wenn über Leute hergezogen wird, die sich nicht wehren können?
Macht es Sie zornig, wenn gutmütige Menschen schamlos ausgenützt werden?

L2
Haben Sie die positive Kraft dieser Art Zorn schon einmal gespürt?
Haben Sie bei dieser Besinnung wahrgenommen:
Auch in meinem Umfeld gibt es Menschen, die liebenswert, schützenswert, aber schwach und wehrlos sind?
Auch in meinem Umfeld gibt es Lebensumstände, gegen die etwas unternommen werde müsste.
Ich müsste meine Stimme für Menschen erheben, die keine Stimme haben.

Einspielen von Beethoven: "Wut über den verlorenen Groschen"

Ich bin überzeugt, auf unserer Welt gibt es so viel Leid und Ungerechtigkeit, nicht in erster Linie, weil Menschen bewusst etwas Böses tun wollen, sondern weil Menschen Gutes unterlassen. Diese Überzeugung drückt auch unser Schuldbekenntnis aus und möchte dies uns heute beim Sprechen wieder einmal bewusst machen.

Beten des Schuldbekenntnisses (Gl 353/4)
Ich bekenne Gott, de Allmächtigen...

Lied 622/1-5

Gebet
Für dich, Gott, lass uns in deinen Spuren gehen,
nach deinem Willen handeln,
an deinem Haus bauen.
Für die Welt, unser Gott, lass uns auf deinen Spuren gehen,
sehen, was sie braucht, tun, was Not lindert.
Für dich, unsern Gott, und für die Welt
lass uns auf deinen Spuren gehen,
dir nahe und den Menschen ein Mitmensch.

Vater unser

Lied 160/5+6

Segen und Sendung (aus Materialheft Liturgische Bausteine S. 36)
Gott, gieße deinen Geist aus
über Jung und Alt
über Frau und Mann
über Reich und Arm
über Schuldig und Unschuldig

Gieße dein Feuer aus
in die Augen der Menschen
in das Herz der Menschen
in den Mund der Menschen
in die Hände der Menschen

Sende deinen Atem nieder
über alle, die gegen Unrecht kämpfen
über alle, die das Leben schützen
über alle, die die Güter des Lebens teilen
über alle, die Zukunft bauen

So segne euch Gott, der Ursprung des Lebens,
Es segne euch in Jesus Christus,
Gottes menschgewordene Liebe.
Es segne euch mit der Kraft
Seines heiligen Geistes, der lebendig macht.

Troubadour 817 vorsingen


Pfarrer Stefan Mai

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