Das Damaskuserlebnis des Oscar Arnulfo Romero

Predigtreihe „Mit Zorn und Zärtlichkeit“

Die Lebensentwicklungen von uns Menschen laufen unterschiedlich ab. Bei den einen verläuft das Leben kontinuierlich: Die Gedanken und Verhaltensmuster, die sich schon als Kind tief eingeprägt haben, bestimmen das gesamte Leben, sie falten sich in verschiedene Richtungen hin aus, bestimmen die verschiedenen Lebensphasen. Auf dem Grundstein der Kindheit baut ein Baustein des Lebens nach dem anderen darauf auf. Es gibt aber auch die ganz anderen Lebensbiographien. Da werden Menschen durch ein einziges Ereignis aus ihrer gewohnten Lebensbahn geworfen. Plötzlich gewinnen sie eine neue Erkenntnis und nichts ist mehr wie es vorher war. Ab diesem Tag nimmt das Leben eine andere Richtung und ein Mensch wird ein anderer.

Oscar Arnulfo Romero, der ehemalige Erzbischof von San Salvador, gehört zum zweiten Typ. Romero war theologisch und politisch eher konservativ eingestellt. Als im Jahre 1977 für San Salvador ein neuer Erzbischof gesucht wurde, förderte der Nuntius die Kandidatur Romeros und beriet sich mit der Regierung, den Militärs, den Unternehmern und den Damen der feinen Gesellschaft. Man befragte die Reichen, und die Reichen waren voll und ganz für die Ernennung Romeros. Sie meinten nämlich, er sei „einer der Ihren.“ Und Romero wurde dem liberalen Gegenkandidaten vorgezogen und sollte als traditionalistischer Repräsentant der Kirche ein gutes Einvernehmen mit den Reichen und der Regierung von El Salvador garantieren. Romero sympathisierte mit der Spiritualität von Opus Dei und hegte gegenüber der Befreiungstheologie, die sich völlig auf die Seite der Armen stellte, größtes Misstrauen. Denn er glaubte: sie sei ein christlich getarnter Marxismus. Zwar bahnten die neuen Aufgaben als Erzbischof, die ihm die soziale Not seines Volkes immer mehr vor Augen führten, eine neue Entwicklung an, aber dann kamen die zwei Tage, die das Leben des Oscar Arnulfo Romero völlig umkrempeln sollten.

Am 28. Februar 1977 verübte das Militär ein Massaker an Demonstranten, die sich auf dem „Platz der Freiheit“ versammelt hatten, um gegen den Betrug bei den Präsidentschaftswahlen zu protestieren. Und wenige Tage später, am 12. März, wurde sein Freund, der Jesuitenpater und Befreiungstheologe Rutilio Grande, mit zwei Begleitern auf der Fahrt in seine Pfarrei in Aguilares ermordet. Diese Ermordung Grandes bewirkte die Umkehr in seinem Leben. „Der Weg nach Aguilares war sein „Damaskuserlebnis“. Seit diesem Tag stand er auf der Seite der Armen. Wie eine Bombe schlug es ein, als Romero in seiner Diözese die Order gab: Am Sonntag darf es in der Diözese San Salvador nur eine einzige Messe geben, die als Requiem für Rutilio Grande und seine zwei Begleiter gefeiert werden sollte. Ab diesem Tag wollte Romero nur das eine: den Armen seine Zeit, sein Wissen, sein Gewicht und den Einfluss seines Amtes schenken. Wie ein Bollwerk stand er vor den Armen. Und diese dankten es ihm. Sie schenkten ihm ihre Zuneigung, Lebensenergie, Lebenslust und Lebenshoffnung. „Bei einem solchen Volk ein guter Hirte zu sein, kostet keine Mühe. Uns treibt das einfache Volk regelrecht zum Dienst an ... Ich dachte immer, das Evangelium zu kennen, aber jetzt lerne ich, es mit anderen Augen zu lesen“, meinte er.
Und Oscar Arnulfo Romero schenkte dem Volk seine Stimme. Seine Predigten waren im Land das meist erwartete Ereignis der ganzen Woche. Es gab kein Haus, das das Radio nicht eingeschaltet hätte, um ihren Erzbischof predigen zu hören, der aus dem Evangelium heraus immer schärfer die Unterdrückung des Volkes geißelte: „Bei uns sind die schrecklichen Worte des Propheten Amos auch heute noch grausame Wahrheit. Auch bei uns gibt es jene, die den Unschuldigen für Geld und den Armen für ein paar Sandalen verkaufen, jene, die in den Palästen Gewalt und Raub anhäufen, die den Armen in den Staub treten, die ein Haus nach dem anderen erwerben und sich ein Stück Land nach dem anderen aneignen, bis sie das ganze Land besitzen und Alleinherrscher sind.“ Nichts fürchten die Mächtigen mehr als eine solch unerschrockene Stimme. Am Sonntag, den 23. März 1980, wandte sich Arnulfo Romero in der Predigt direkt an die Angehörigen der Armee, der Nationalgarde und der Polizei: „Im Namen Gottes und im Namen des leidenden Volkes, dessen Wehklagen täglich eindringlicher zum Himmel steigen, flehe ich Sie an, bitte Sie inständig, ersuche Sie im Namen Gottes: Machen Sie der Repression ein Ende! Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der wider das Gesetz Gottes gerichtet ist!“ Das war zuviel. Einen Tag nach dieser Predigt sagte ein Regierungssprecher, Erzbischof Romero habe mit seinem Aufruf ein Vergehen begangen, das ihn an den Rand des Gesetzes bringe. Am Nachmittag des gleichen Tages, des 24. März 1980, wurde Oscar Romero während einer Messfeier ermordet. Der Schuss der gedungenen Mörder traf ihn ins Herz, als er gerade die eucharistischen Gaben bei der Gabenbereitung emporhob.

Die Mörder hätten keinen besseren Ort des Gottesdienstes für den Todesschuss aussuchen können. Nach der Predigt, beim Emporheben der Gaben. Wie eine symbolische Zusammenfassung des Lebens eines Mannes, der der Stimme des Evangeliums und der Armen Gehör verschaffen wollte und sein Leben als Gabe für das Volk eingesetzt hat. Worte, die mit dem Leben gedeckt und vom Blut eines Märtyrers besiegelt sind, das hat die Geschichte der Kirche immer wieder gezeigt, sind wie Weizenkörner, die Frucht bringen (Joh 12,24).


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de