Die höchste Professionalität: „Amateur“ bleiben

Predigt zum 25-jährigen Jubiläum des Kirchenchores St. Maximilian Kolbe und 25-jährigen Priesterjubiläum von Pfarrer Stefan Mai

Sind das nicht zwei Paar Schuhe, in die wir heute schlüpfen? Sind das nicht zwei völlig verschiedene Dinge, die heute in einem gefeiert werden?: Das 25-jährige Chorjubiläum unseres Kirchenchores St. Maximilian Kolbe und ein 25-jähriges Priesterjubiläum? Wie soll das zusammenpassen?
Klar ist, dass beide die Gestaltung des Gottesdienstes verbindet, dass beide sich um eine ansprechende Atmosphäre im Gottesdienst bemühen. Ich meine aber, es gibt noch etwas, was die beiden noch viel stärker verbindet: Es ist die starke Konkurrenz in Medien und Fernsehen. Auch die Ohren und Augen des Kirchenvolkes sind durch die Medienwelt geprägt. Der ältere Kirchenbesucher sitzt am Samstagabend vor dem Fernseher und sieht in „Wetten dass...“ millionenschweres Bühnenequipment, höchstbezahlte Bands oder Schlagersänger, Pop- Sport- und Unterhaltungsstars, einen witzig quasselnden Talkmaster. Die Jüngeren lieben eine andere Musik, eine andere Sprache, sie lieben Events und besondere Lichteffekte, die Bewegungen im Gottesdienst sind für sie zu streng, der Ablauf zu ritenhaft. Sie möchten etwas erleben. Was alt und jung aber heute verbindet: Sie erwarten professionelle Darbietungen. Geprägt durch das Medienverhalten wächst auch bei den Kirchenbesuchern und Pfarreiangehörigen die passive, konsumistische Haltung mehr und mehr: Sich zurücklehnen, relaxen, sich was bieten lassen.

Was kann ein älter werdender Kirchenchor im Vergleich zu den Stars und professionellen Vocalensembles und Rundfunkchören, im Vergleich zu den professionellen Aufnahmen auf den Musik-Cds da noch bieten?
Was kann ein einfacher Gemeindepfarrer mit den immer gleichen Riten, mit Orgel als Standardmusik, mit seinen dürren Worten Woche für Woche im Vergleich zu den Unterhaltungsprofis, hinter denen ganze Beratermannschaften und eine millionenschwere Unterhaltungsindustrie stehen, ausrichten? Was kann er in einer Zeit, in der das Spezialistentum und fachspezifische Ausbildungen immer mehr voranschreiten und von Menschen Topleistungen auf eng umschriebenen Fachgebieten erwartet werden, in der Bandbreite seines Berufes, in der Begleitung von Menschen im Vergleich zu Psychologen, Psychotherapeuten an Qualifikation auf den Tisch legen? Wie soll er mit ausgebildeten Betriebswirtschaftlern und Bankern, mit geschulten Managern in der Führung eines Pfarreiladens, der bei unserer kleinen Pfarrei schon einem mittelständischen Unternehmen gleicht, mithalten können?

„Wir müssen noch professioneller werden, um besser anzukommen,“ heißt es deshalb oft auch in kirchlichen Kreisen. Ich möchte nicht einer Schlamperei oder Stümperei das Wort reden, bei Gott nicht! Aber ich bezweifle es, ob das Heil der Kirche und der Menschen in einer „Professionalisierung“ und immer besseren Spezialisierung liegt. Ich behaupte, dass wir ganz bewusst die „Amateurhaftigkeit“ in unseren Gemeinden kultivieren müssten. Ich bin vielmehr überzeugt, dass ein Pfarrer, ein Kirchenchor, die Gremien, Kreise und Ausschüsse einer Pfarrei durch echte „Amateurhaftigkeit“ erst Top-Leistungen bringen. Denn das Wort „Amateur“ kommt aus dem Lateinischen und leitet sich von „amare“ ab, und das heißt lieben. Amateure machen etwas aus Liebe, aus Leidenschaft. Kirchliche Amateure machen etwas aus Leidenschaft für ihre Sache, für ihre Kirche, für Gott, für die Menschen. Wo Menschen in einer Kirchengemeinde etwas aus dieser Motivation heraus tun, legen sie sich selbst ins Zeug und geben ihr Bestes. Wo Menschen etwas aus dieser Motivation und echter „Amateurhaftigkeit“, aus innerer gläubiger Ergriffenheit heraus im kirchlichen Dienst tun, egal ob als Chormitglied, Priester, Organist, Taufkatechetin, Erzieherin, Küster, Besuchsdienst, Gruppenleiter, Büchereileiterin, Ministrant, Pfarrgemeinderat oder Lektorin, da werden sie einmal nicht so leicht einer arroganten Profilierungssucht erliegen, wie die chassidische Geschichte vom Vorbeter erzählt, der in der Gemeinde von Rabbi Levi Jizchaks heiser geworden war. Der Rabbi fragte ihn: „Wie kommt es, dass Ihr heiser seid?“ „Das ist,“ antwortete dieser, „weil ich andauernd vor dem Pult gebetet habe.“ „Ganz recht,“ sagte der Rabbi, „wenn man vor dem Pult betet, wird man heiser. Aber wenn man vor dem lebendigen Gott betet wird man nicht heiser!“

Und zum anderen bin ich überzeugt: Große Ziele werden nur dort erreicht, wo Menschen mit Leidenschaft um der Sache willen tätig sind und nicht andauernd fragen, wie kommen wir an. Kirche wird nur dort etwas ausstrahlen können, wo Menschen sagen: Ich bin Priester, Chorsänger und Mitarbeiter in einer Pfarrgemeinde, weil ich diesen Dienst für wichtig halte und er mir Freude bereitet. Auf Dauer wird unsere Gesellschaft der Professionalität nach Menschen hungern, die in aller Bescheidenheit und im besten Sinn des Wortes „Amateure“ bleiben oder noch besser gesagt, immer wieder werden. Und ich behaupte: Christliche Professionalität wird dort erlebt, wo Menschen echte „Amateure“ sind.


Pfarrer Stefan Mai

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