Gedanken zum 25. Primiz-Tag

Es wird erzählt: Der Jugendstilarchitekt Gaudi war recht unglücklich, als er die schnurgeraden Bänke sah, die eben vor der Kathedrale in Barcelona aus Beton gegossen worden waren. Deshalb nahm er einen Arbeiter bei der Hand und setzte ihn mit seiner blauen Arbeiterhose in den feuchten Mörtel. Er wollte, dass nicht abstrakte Geometrie, sondern die Körperform eines echten Menschen aus Fleisch und Blut die Form der Bank bestimmen sollte.

Ich habe manchmal den Eindruck: In unseren Köpfen ist ein Wunschbild von Kirche in einer absolut korrekten und reinen Form - in einer Art reinen Geometrie vorhanden.
An Jesus beeindruckt mich immer wieder, dass er nie eine abstrakte, reine Form von einer idealen Kirche propagierte - sondern dass er Menschen im Blaumann, in der Arbeitshose, weg von den Fischerbooten in seine Nachfolge rief.
Menschen mit Fleisch und Blut, so wie sie sind, ohne sie vorher Intelligenztests und moralischen Tugendtests zu unterziehen. Ich denke, Jesus war ein Realist. Er wusste, dass Menschen mit Fleisch und Blut seine Idee vom Reich Gottes verzerren, verunreinigen, verwässern oder auch verlieren können. Er wusste aber auch, dass erst Menschen, die seine Ideale und seine Ideen teilen, sie menschlich machen, sie für Menschen ansprechend machen, auch wenn es manchmal dann menschelt. Und er war überzeugt: Seine Ideen helfen den Menschen zu ihrer eigenen Menschwerdung.

Liebe Leser! Es beeindruckt mich, der Architekt Gaudi hat keinen Bischof oder berühmten Mann oder besonders Tüchtigen, Gescheiten oder Schönem in den feuchten Mörtel gesetzt, sondern dafür einen Arbeiter mit seiner blauen Arbeiterhose.
Ich glaube daran, dass Jesus auch heute jeden von uns, egal ob als Mann oder Frau, ob als Erzieherin oder Mutter, ob als Priester oder Ministranten braucht, um die Idee Kirche mit Fleisch und Blut zu füllen und ihr eine menschliche Kontur zu geben. Er braucht uns nicht im Vorzeigegewand, im feinen Kleid oder eleganten Anzug, er braucht uns in den Kleidern des Alltags, im Blaumann!


Pfarrer Stefan Mai

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