Mehr als nur eine Randnotiz...

Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis (Mt 4,12-23)

Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr,
kommt von irgendwo ein Lichtlein her.

Auch heute lese ich diesen Trostspruch noch manchmal in den Wohnungen. Auch heute kommt noch diese alte einfache Volksweisheit Menschen in den Sinn, wenn es Situationen im Leben zu bestehen gilt, wo noch kein Licht am Ende eines schwarzen langen Tunnels zu sehen gibt.
Wenn Menschen in Ihrer Not und Ohnmacht nicht mehr weiter wissen, zünden sie oft an bestimmten Orten Lichter an, ja bilden ganze Lichterketten. Lichter, die in den Kirchen vieler ostdeutscher Städte zum Abendgebet angezündet wurden, haben das DDR-Regime mit zum Wackeln gebracht und symbolisierten für Menschen Ende der 80-er Jahre die Hoffnung auf Freiheit. Nach Flut- oder Erdbebenkatastrophen, nach Terroranschlägen sind oft unendliche Lichtermeere zu sehen, die in der Trauer um die Toten und in der Ohnmacht angesichts der Unbegreiflichkeit des Geschehens entzündet wurden. Wenn in einem Wohnviertel ein Kind misshandelt wurde und elend zu Tode gekommen ist, dann entzünden Menschen aus der Nachbarschaft vor der Eingangstür Kerzen und stellen sie neben Plüschtiere und Blumen. „Light a candle – say a prayer!“ Zünde eine Kerze an, sprich ein Gebet! Das ist doch die Botschaft der vielen Kerzchen, die Menschen in unseren Kirchen vor der Mutter Gottes Statue entzünden. Eine Landschaft flackender und zuckender Flammen als Sinnbild für Menschen, die opfern und lieben, ringen und leiden. Und wenn ich sonntagmorgens im Josefkrankenhaus im Morgengrauen die Krankenkommunion in die halbdunklen Zimmer hineintrage und mir dabei eine Schwester mit einer Lampe vorangeht, dann heißt dies doch: Er, den du jetzt in der Kommunion empfängst, möchte in der Dunkelheit der Krankheit, der vielen Fragen und Sorgen und vielleicht schon in der Vorahnung des Todes für dich ein Hoffnungslicht sein.

Der Evangelist Matthäus trägt in sein Evangelium nach der Taufe und dem 40-tägigem Aufenthalt Jesu in der Wüste zum Beginn seines öffentlichen Auftretens eine merkwürdige Notiz ein: „Jesus verließ Nazareth, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali. Denn es sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Gebiet jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa. Das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen.“
Das ist weit mehr als eine belanglose Information. Wie in einem Brennpunkt stellt der Evangelist mit diesem alten Prophetenzitat in einem Bild die Bedeutung der Wirkung und der Person Jesu heraus: Jesus, der Immanuel, der „Gott mit uns“, zieht in die Randzonen, in Regionen, wo Angst herrscht, auf die schwere Schatten liegen, wo Zukunft ausgelöscht scheint. Er ist dort, wo Menschen kein Licht mehr sehen.

Liebe Leser, spüren Sie, was das heißt? Spüren Sie, welche Botschaft Matthäus mit diesem Lichtbild transportieren will? Das heißt doch:
Gott ist nicht feige.
Gott geht mit in die Dunkelheiten und Ausweglosigkeiten.
Gott geht mit in den Sorgen des Lebens.
Er geht mit in den unlösbaren Rätseln.
Er geht mit in der Trauer.
Gott geht mit in die Depression.
Er geht mit ins Pflegeheim und ins Sterbezimmer.

Und wenn Jesus im Schattenreich des Todes die ersten Jünger beruft, dann heißt dies doch: Er wirbt auch um dich. Er bittet auch dich, sein Licht, das er in die Welt bringen wollte wie in einer Lichterkette weiterzutragen hinein in unsere Zeit.


Pfarrer Stefan Mai

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