Ich wünsche Ihnen einen „krippalen“ Infekt

Predigt zum 1. Sonntag nach Weihnachten

Fränkische Schwäche

Franken sind dafür bekannt: Wir können nicht hart reden. Wir sagen zwar, das schreibt man mit hartem – und dann kommt schon wieder das weiche „d“. Für manchen in der Schule ein wahrer Graus, das „harte“ und das „Weiche“ d auseinander zuhalten. Und selbst ein kardinal Döpfner wurde deshalb gerne gehänselt. Immer wenn er sich besonders bemüht hat, hartes und weiches „d“ auseinander zuhalten, ging es „todsicher“ daneben.

Und noch etwas ist schwierig: „g-„ und „k“ auseinander zuhalten. Wie oft lese ich in der Schule, wenn es um Weihnachten geht: Das Kind liegt in der „Grippe“ … Achtung Ansteckung! möchte man am liebsten sagen …

Predigt

Weihnachten ist wieder vorbei. Schon werden die ersten Weihnachtsbäume abgeräumt. Die Besuche sind vorüber. Von den Plätzchen und Christstollen hat man genug. Der Festtagsbraten hängt bis oben raus. Was ist von Weihnachten geblieben?

Ich kann nicht in Ihre Herzen schauen, aber ich wünschte mir: Sie haben sich einen „krippalen“ Infekt geholt. Erschrecken Sie nicht: Ich meine nicht den grippalen Infekt mit „g“, keine Grippe! Sondern einen „krippalen“ Infekt mit „k“ geschrieben – einen Infekt von der Krippe her.

Auch für diesen „krippalen“ Infekt ist man vor allem bei Kälte empfänglich. Wenn man die Kälte bei menschlichen Beziehungen spürt. Wenn man sich bewusst wird, wie die Ellenbogenmentalität um sich greift. Wenn man dafür sensibel geworden ist, dann hat einen das Krippenkind schon „angesteckt“.

Das Ansteckungsrisiko für den „krippalen“ Infekt ist besonders groß, wenn das Immunsystem nicht mehr intakt ist. Wenn man nicht immun gegen diese Art von Fragen ist: Wozu bin ich auf der Welt? Was macht mein Leben wirklich wertvoll? Welchen Sinn hat es, dass ich mich Tag für Tag abzappele? Das kann doch nicht alles gewesen sein! Wenn Sie gegen solche Fragen nicht abgehärtet sind, dann hat Sie das Krippenkind bereits angesteckt.

Schnell anstecken können Sie sich auch durch den Kontakt mit bereits „krippal“ Infizierten. Wenn Sie Menschen begegnen, die begeistert sind von der Sache Jesu.
Wenn Sie sich Ihrer Sache jetzt noch nicht so ganz sicher sind; wenn Sie noch nicht 100% wissen, ob es Sie schon erwischt hat oder nicht, können Sie jetzt einen kleinen Selbsttest machen. Wenn Sie eines der drei folgenden Symptome an sich entdecken, dann hat sie der „krippale“ Infekt tatsächlich erwischt:

1. Wenn Sie einen Schwächeanfall spüren. Ich meine damit eine Schwäche für Ihre Mitmenschen. Wenn Sie sich dafür interessieren, worunter ihre Mitmenschen leiden, nicht aus Neugier, sondern aus echtem Interesse; wenn sie deshalb bereit sind, wirklich hinzulangen, zu helfen, aufzumuntern, Zeit zu investieren.

2. Der „krippale“ Infekt hat sie erwischt, wenn Sie einen Fieberanfall haben. Wenn Sie echauffieren könnten über die Ungerechtigkeit in unserer Welt. Wenn Sie wütend werden darüber, dass die einen nicht wissen, wie sie das Geld verdummen sollen, und die anderen trotz Ganztagsarbeit ihre liebe Müh und Not haben, ihre Familie über die Runden zu bringen. Wenn Sie fiebern und sehnsüchtig warten auf mehr Gerechtigkeit.

3. Der „krippale“ Infekt hat sie erwischt, wenn Sie unter Schluckbeschwerden leiden. Wenn Sie nicht mehr alles schlucken können, was an Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit in Ihrer Umgebung geschieht. Wenn Sie Verletzung und Spott nicht einfach wegstecken. Wenn Sie sich dagegen weigern, was man an Oberflächlichem und Belanglosem so einfach dahinschwätzt.

Ich hoffe, dass Sie sich jetzt selbst die Diagnose stellen können: Ja, mich hat der „krippale“ Infekt erwischt. Ich habe mich vom Kind in der Krippe anstecken lassen.
Und wenn das so ist, dann sage ich Ihnen: Sie sind nicht grippekrank, sondern krippengesund.

Nach einer Idee von Wolfgang Raible, Der „krippale“ Infekt, in: Theologischer Anzeiger 2007/12, 28.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de