Als die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren …

Predigt zur Mette am Heiligen Abend 2007

Kennen Sie solche Momente? Ein wunderschöner Urlaub ist vorbei. Die Eindrücke stehen noch lebendig vor Augen. Die sanfte Hügellandschaft, Straßen gesäumt mit Alleen, die Weinberge mit ihren romantischen Gutshäusern, der redselige Italiener in der Kneipe, das besondere Menu bei Kerzenschein auf dem Marktplatz, einmal nicht funktionieren zu müssen, einfach das Gefühl: So schön könnte das Leben sein. Und dann ist die Zeit vorbei. Urlaub zu Ende. Sie steigen ins Auto. Morgen ticken die Uhren wieder anders.
Kennen Sie solche Momente? Ein lieber Besuch verlässt Ihre Wohnung. Schon lange haben Sie ihn nicht mehr gesehen. Dann gestern dieser überraschende Anruf: „Ich bin in der Gegend und komme in einer Stunde vorbei.“ Und dann dieser wunderbare Abend. Erinnerungen von früher werden ausgetauscht. Reden und Lachen Aber jetzt steht die Reisetasche schon wieder gepackt im Flur. Gleich wird er ins Auto steigen.
Kennen Sie solche Momente? Endlich ein lang ersehntes Ziel erreicht. Eine große Feier, bei der das Diplom überreicht wird. Festliche Reden. Festliche Stimmung. Voller Optimismus. Aber morgen wird jeder seiner Wege gehen.
Kennen Sie solche Momente? Momente voller Glück, voller Ergriffenheit, voller Stimmung. Und im nächsten Augenblick ist alles vorbei.
Wie ist Ihnen dann zumute? Wie reagieren Sie darauf? Mit Wehmut? Fühlen Sie sich innerlich leer? Möchten Sie am liebsten die Zeit zurückdrehen? Die Glücksmomente zurückholen und festhalten? Nochmals die Glücksstimmung tief in sich einsaugen?
Einfache Menschen, deren Leben von Mühen und Plackerei, vom immer gleichen Trott, von den immer gleichen Arbeiten und Wegen geprägt ist, so erzählt das Weihnachtsevangelium, erleben plötzlich Glanz und Gloria. In ihren stinknormalen Alltag bricht etwas völlig Neues ein. Sie erleben ein Stück Himmel auf Erden. Sie hören im wahrsten Sinn des Wortes die Engel singen. Aber mit einem Schlag ist alles wieder weg. Jedoch heißt es nicht: Und die Hirten waren traurig. Sie fühlten sich betrogen. Sie hätten gerne den Himmelsglanz noch länger genossen. Es heißt: Als die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, sprachen die Hirten zueinander: Kommt, lasst uns nach Bethlehem gehen …
Sie trauern keinem vergangenen Glücksmoment nach. Sondern das erfahrene Glück hat sie selbst in Bewegung gebracht. Sie laufen auf den gleichen Pfaden nach Bethlehem wie eh und je, aber sie laufen anders. Sie sind voller Neugier, voller Erwartung. Sie gehen in ihr altbekanntes Heimatdorf Bethlehem – aber sehen es in einem neuen Licht. Und sie schwärmen von dem, was sie draußen auf dem Feld erlebt haben. Und damit stecken sie andere an.
Wäre das nicht das Gefühl von Weihnachten: Beim nächsten Urlaub, wenn mich wieder die Wehmut packt, nicht einfach sagen: Schade, jetzt ist schon wieder alles vorbei. Sondern: An einem stinknormalen Abend sich einen Rotwein schmecken lassen – wie im Urlaub.
Wäre das nicht das Gefühl von Weihnachten: Wenn der Besuch aus der Wohnung ist, zu mir selber sagen: Sei dankbar! Es ist doch nicht selbstverständlich, dass ich es einem wert bin, dass er seine Route ändern und mich besucht und mir dadurch zeigt: Ich schätze dich.
Wäre das nicht das Gefühl von Weihnachten: Nach der großen Feier nicht einfach das Gefühl des Triumphes festhalten wollen, sondern sich sagen: Darauf kann ich jetzt weiter aufbauen.
In der Weihnachtsgeschichte wird erzählt: Als die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, sprachen die Hirten zueinander: Kommt, lasst uns nach Bethlehem gehen …
Von den Hirten lernen: nicht wehmütig zurückschauen, sondern innerlich angerührt weitergehen.

Ein Gefühl wie an Weihnachten

Schade, dass nicht alle Tage Weihnachten ist. Schade, dass Weihnachten so schnell vergeht.


Pfarrer Stefan Mai

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