„Warum dir? Warum dir? Warum dir?“

Predigt zum 2. Advent 2007

„Warum dir? Warum dir? Warum dir?“ – so fragte nach der Legende Bruder Masseo den hl. Franziskus. Der fragte zurück: „Was willst du damit sagen?“ Bruder Masseo: „Ich frage, warum gerade dir alle Welt nachläuft und jedermann nur dich sehen, dich hören, dir gehorchen will? Du bist nicht schön, du bist nicht gelehrt, du bist nicht edel! Warum also läuft dir alle Welt nach?“

„Warum dir? Warum dir? Warum dir?“ Warum nur, Johannes läuft alles zu dir in die Wüste hinaus? Ich frage mich, warum gerade dir alle Welt nachläuft und „die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend“ gerade dich sehen, dich hören und dir gehorchen wollen? Mit deinem zotteligen Kamelhaargewand und deinen, den Städtern und vornehmen Leuten fremden Lebensmanieren, bist du doch eigentlich keine Vorzeigegestalt. Und dazu dein rüpelhaftes Auftreten. Keinerlei Einfühlungsvermögen! Du lässt die Leute einfach so runterlaufen und betreibst Publikumsbeschimpfung. Suchende Menschen pauschal als „Schlangenbrut“ zu bezeichnen, ist schon ein starkes Stück! Und dann dazu deine Drohbotschaft, wo sich doch eigentlich Menschen nach Worten sehnen, die ihnen Mut machen, sie aufrichten und trösten.

„Warum dir? Warum dir? Warum dir?“ Warum nur, Kirche, laufen dir immer mehr Menschen weg? Warum nur übst du keine Ausstrahlungskraft mehr aus? Warum rüttelt deine Botschaft immer weniger Menschen bei uns auf? Warum nur, du hast doch wunderschöne sakrale Räume, du hast einen reichen Traditionsschatz, du hast bis jetzt genügend finanzielle Möglichkeiten, noch immer hast du große gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten, du bist einer der größten Arbeitgeber Deutschlands! Warum nur laufen dir die Menschen weg? Die Ratlosigkeit und Ohnmacht auf diese Frage kennen wir alle.

Willst du wissen, warum mir die ganze Welt nachläuft?, fragte Franz von Assisi Bruder Masseo und gab ihm als Antwort zurück: „Um jenes wunderbare Werk zu vollbringen, das er zu tun gedenkt, hat er auf Erden kein geringeres Geschöpf gefunden. Deshalb hat er mich erwählt, damit man erkenne, dass jede Tugend und alles Gute von ihm stammt, und nicht vom Geschöpf!“ Und die Legende schließt mit den Worten: „Auf diese demütige und mit solcher Überzeugung gegebene Antwort hin erschrak Bruder Masseo und erkannte mit Gewissheit, dass der heilige Franziskus in wahrer Demut gegründet war.“

Auch bei einem Johannes spürten die Leute: Dem geht es nicht um sich. Der lebt und brennt für seine Botschaft. Und das reizt, ja fasziniert Menschen. Sie gehen aus ihrer gewohnten Wohn- und Gedankenwelt heraus, brechen auf, beginnen neu zu suchen, setzen sich den Worten des Johannes aus, weichen auch harten Worten nicht aus, beginnen neu nachzudenken und ändern ihren Lebensstil.

Franziskus und Johannes machen mich als Kirchenmann nachdenklich. Auch wenn ich keine Lösung auf die Frage weiß, warum immer mehr Menschen der Kirche weglaufen, ich ahne, wo es bei uns im Argen liegt: Wir haben in unseren Reihen zu wenige „burning persons“, die dafür brennen, was sie verkünden. Wir drehen uns als Kirche zu sehr um uns selbst, anstatt um das Leben und die Fragen der Menschen. Unsere Antworten sind zu fromm, zu abgehoben, packen nicht die Herzen. Uns fehlt oft der Mut zu echter Demut und radikaler Einfachheit. Auch heute sind die Menschen sehr sensibel für echte Glaubwürdigkeit!


Pfarrer Stefan Mai

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