Spuren im Schnee

Einstimmung auf den Advent

- Zither-Musik -



L1:
Schneebilder aus der Rhön und Zithermusik werden uns heute durch diese besinnliche Stunde führen. Bilder, die Paul Schäfer Ende der 90-er Jahre gemalt hat und Melodien, die Wilhelm Sauer auf der Zither für uns spielt.
Die Bilder erzählen Alltagsszenen vom ehemaligen Leben aus der armen Rhön. Sie wollen in dieser Stunde aber keine volkskundliche Heimatgefühle wecken, noch Romantisierung vergangener Zeiten sein. Ich möchte diese farbigen Bilder einmal ein wenig anders deuten, nämlich auf die Situation unserer Kirche hin. Der große Theologe Karl Rahner hat am Ende seines Lebens das Bild von einer „winterlichen Kirche“ geprägt und damit auf den Punkt gebracht: In unserer Kirche gibt es Erstarrung, Stagnation. Es herrschen frostige Temperaturen. Es bläst ein kalter Wind ins Gesicht. Frühlingsträume, aufbrechende Blüten, hoffnungsvolle Aufbrüche, Wachstum, farbiges Leben, ein echtes Wohlfühlklima sind Sehnsuchtsmusik. Winter in der Kirche – kein angenehmes Thema. Aber Realität, der wir uns zu stellen haben.

„Spuren im Schnee“ – so habe ich diese besinnliche Stunde überschrieben. Francisco de Osuna, ein geistlicher Meister im 16. Jahrhundert, schrieb einmal: „Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“ Die Aufgabe von uns als Kirche ist, die Spuren Jesu zu entdecken, in den Spuren Jesu zu gehen, die Spuren Jesu für Menschen unserer Zeit frei zu legen, erfahrbar zu machen, dass diese Spuren zu einem guten und sinnerfüllten Leben führen können. Die Aufgabe von Kirche ist, einzuladen, diese Spuren Jesu nachzugehen. Aber die Menschen decken oft die Spur Jesu zu.

- Zither-Musik -



L 2
Noch 2 km weit bis zur Kirche, so zeigt der Wegweiser an der Straße an. Eigentlich direkt in der Nähe. Eigentlich keine nennenswerte Strecke. Und dazu brennt in dieser Kirche noch Licht. Wenigstens ein bisschen wärmer könnte es doch dort sein. Das gibt es doch nicht, dass die beiden diese Kirche nicht gesehen haben. Warum nur kauern sie sich hier am Weg auf dem Holzstamm nieder, mit dem Rücken zur Kirche? Warum gehen sie diese paar Schritte nicht weiter?

L1
Die Frage ist: Wer kehrt wem den Rücken zu? Macht die Kirche ihre Türen auf, doch auf diese offenen Türen legen Menschen keinen Wert mehr? Bietet sie Gastfreundschaft, ohne Hintergedanken, aber ein :“Nein danke, brauchen wir nicht?“ schlägt diese gut gemeinte Einladung in den Wind?

Oder - treffen ihre Angebote vielleicht nicht mehr das Leben heutiger Menschen, sodass sie nicht mehr als lebensbereichernd erkannt werden? Haben die zwei vielleicht versucht, dort in dieser Kirche für ihr Leben etwas zu finden und gespürt: die können uns für unsere Fragen, für unsere Probleme, für unsere Sehnsüchte und Sorgen nichts bieten. Ihre Antworten passen nicht zu unseren gestellten Fragen. Das kommt uns so fremd vor. Da wird eine ganz andere Sprache gesprochen, die sich schwer in unser Leben einfügt. Wir passen einfach nicht in diese fromme Welt. Kirche als Heimat zu bezeichnen wäre ein Hohn. Da wollen wir lieber mit ihr nichts zu tun haben.

L 3
„Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“

- Zither-Musik -



L1
Um mich herum ist es kalt geworden. Für mich gibt es keinen rechten Platz mehr. Viele von denen, die ich gekannt habe, liegen inzwischen draußen auf dem Friedhof. Die Kreise um mich herum werden immer kleiner. Ich habe zwar noch mit Menschen zu tun, aber für die, die schon fort gegangen sind, gibt es keinen wirklichen Ersatz. Die leeren Plätze derer, die mir am Herzen lagen, kann keiner mehr auffüllen. Meine Gedanken drehen sich um andere Dinge, wie sie die jüngeren Generationen beschäftigen. Irgendwie merkst du auf Schritt und Tritt: Du gehörst nicht mehr dazu.
Und ich sage euch. Es ist eine Mähr zu glauben: Im Alter fällt das Glauben und das Beten leichter. Im Gegenteil: Vieles erscheint mir fragwürdiger an meiner Kirche. Ich geh zwar noch manchmal hin, aber so richtig ziehen tut’s mich nicht mehr. Da ist mir diese Ruhe da heraußen unter dem Bildstock lieber. Da kann ich meinen Gedanken nachgehen. Aber ich habe keinen Halt mehr. Was mich im Glauben getragen hat, ist brüchiger geworden. Schau auf den Bildstock: Er ist leer!

L 3
„Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“

- Zither-Musik -



L 2
Sie hat Kirche noch als Heimat erfahren. Ist groß geworden mit ihren Gebeten und Riten. Die alten Kirchenlieder gehen ihr oft durch den Kopf. Und wie oft hat sie diese in den Gottesdiensten gesungen. Die Kirche gab ihrem Leben Rhythmus und Halt. Wie viel Zeit verbrachte sie in ihr. Sie hat die Höhepunkte ihres Lebens hier gefeiert und in den schlimmsten Stunden ihres Lebens hier Trost gesucht. Und trotzdem konnte sie dieses Heimatgefühl und die Freude an der Kirche nicht weitergeben. Wie oft muss sie sich von ihren erwachsenen Kindern anhören: “Ach, Mutter, du mit deiner Kirch’, lass uns damit endlich einmal in Ruh!“ Aber sie kann’s einfach nicht lassen. Was man einmal als Heimat und Bereicherung erfahren hat. Das wirft man nicht so schnell weg und vergisst man nicht. Aus dem Brunnen, aus dem man getrunken hat, wirft man keinen Stein, lautet ein altes Sprichwort. Und so geht sie jeden Tag einmal hinaus zur Kirche, setzt sich in die Bank, denkt nach und betet. So lange ich kann, mache ich es. Und so oft es geht, nimmt sie ihre kleine Enkelin mit, macht mit ihr das Kreuzzeichen, zündet mit ihr vor der Mutter Gottes eine Kerze an und betet und träumt: Vielleicht wird dieses kleine Mädchen einmal wieder Freude am Glauben finden. Wenn ich ihr nicht zeige, dass Kirche mir Heimat bedeutet und aus meinem Leben nicht wegzudenken ist, wer wird es dann tun? Keiner! Aber darf man Kindern die Religion vorenthalten? Darf man Kinder um Gott betrügen?

L 3
„Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“

- Caroline singt -



L 2
Diese Bilder sind heutzutage aus dem Alltag verschwunden. Ein arme Rhönbäuerin trägt auf ihrem Rücken einen Heubündel von der Feldscheune nach Hause. Sie war es gewohnt in ihrem Leben Schweres auf dem Buckel zu tragen. Die raue Luft hat ihr Gesicht im Lauf der Jahrzehnte gegerbt.

L 1
So mancher trägt im Leben sein Päckchen herum. So manchen drückt eine schwere Last. So mancher weiß nicht, wie er das tragen soll, was ihm im Leben zugemutet wird. So mancher hofft, dass es Menschen gibt, die ihn in seiner Not verstehen, die ihm die Last zu tragen helfen und sie so leichter machen. So mancher hofft, dass kirchliche Gemeinden Räume sind, wo Verständnis herrscht für die Lasten des Lebens, Räume, wo Lasten mitgetragen werden, ohne dass groß darüber geredet wird, ohne dass groß für die Hilfe Dank erwartetet wird, einfach weil es Kirche einem nachmachen will, der die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter oder vom Knecht, der nur seine Pflicht und Schuldigkeit tut, erzählt, ja noch viel mehr, selbst gelebt hat.

L 3
Aber: „Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“

- Zither-Musik -



L 1
Ja, belastete und Lasten tragende Menschen erhoffen sich von kirchlichen Gemeinden mittragende, mitleidende, im wahrsten Sinn des Wortes sympathische Menschen, wenden sich aber oft von ihnen ab, weil sie etwas anderes erfahren: Sie stoßen auf scheinbares Interesse, werden bedauert, es wird scheinbar Anteil genommen. Sie trauen sich, von ihren Lasten zu reden. Vertrauen auch manchen etwas an. Aber wie oft müssen sie erfahren: Meine Lasten haben Neuigkeitswert. Sind Stoff für so manchen Tratsch in Kirchenkreisen: „Hastes scho ghört …?“ „Mein Gott, so was!“ … „Des hätt doch nie einer gegläbt!“ … „Also so was!“ … Eigentlich wären kirchliche Gruppen und Gemeinden eine Riesenchance und Möglichkeit, dass Menschen echte Solidarität und ungeheucheltes Mitgefühl erfahren und praktizieren. Aber wie weit bleiben wir als Gemeinden dahinter zurück. Und wie weh tut es Menschen, wenn sie spüren: Eigentlich ist meine Last nur ein guter Gesprächsstoff, unter dem Deckmäntelchen frommer Anteilname wird er eigentlich nur an die große Glocke gehängt. Gut, dass ich nicht alles weiß, was so da geredet wird! Und wie oft wenden sich Menschen dann wieder von Kirche ab, weil sie spüren: Das ist nicht die Spur, die der gelegt hat, der immer belastete Menschen in einen Schonraum führen wollte, mit ihnen und nicht über sie reden wollte.

L 3
„Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“

- Zither-Musik -



L 1
„Vergessene Vogelscheuche“, so nennt Paul Schäfer dieses Bild. Sie steht draußen und hatte die Aufgabe, warnend und drohend Vögel und Tiere von den Früchten fernzuhalten. Aber trotz aller Drohgebärden und skurrilem Aussehen tanzen ihr buchstäblich die Raben auf der Nase herum und machen sich über ihre Wichtigkeit lustig. Die Zeit hat sie überholt. Kalt um sie herum ist es geworden. Sie steht nur noch herum, eigentlich ohne große Funktion und Wirkung.

Vielleicht trat und tritt Kirche zu sehr mit erhobenem Zeigefinger auf, vielleicht hat sie zu lang und zu oft versucht, Menschen Angst zu machen. Drohend auf sie einzuwirken. Vielleicht hat sie zu oft gesagt: Das darfst du nicht, das ist verboten, lass die Finger davon, anstatt positive Wege aufzuzeigen. Vielleicht spüren auch Menschen heute noch, dass führende Vertreter der Kirche zu wenig Vertrauen in das Gute von Menschen setzen. Vielleicht erwarten Menschen heute vielmehr eine Kirche, die sich viel Gedanken über ein gelingendes Leben macht und auch Wege zu einem guten Leben mitgeht. Vielleicht müsste Kirche vielmehr auf das Leben einlassen, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich die Hände schmutzig macht, anstatt sich mit sauberen Händen belehrend und drohend herauszuhalten.
Sonst besteht leicht die Gefahr, dass sie das Schicksal mit der vergessenen Vogelscheuche teilen muss.

L 3
„Willst du Christus folgen, musst du wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“

- Zither-Musik -



L 1
Winterliche Kirche. Darüber wollten die Schneebilder in der Rhön uns heute einmal zum Nachdenken bringen. Zeigen: In unserer Kirche gibt es Erstarrung, Stagnation. Es herrschen frostige Temperaturen. Es bläst ein kalter Wind ins Gesicht. Frühlingsträume, aufbrechende Blüten, hoffnungsvolle Aufbrüche, Wachstum, farbiges Leben, ein echtes Wohlfühlklima sind Sehnsuchtsmusik. Es ist Winter in der Kirche geworden.
Und doch, das glauben wir, gibt es einen, der mit Interesse und Güte auf sein Kirchenvolk schaut und Sorge für es trägt – auch im Winter. So wie dieser Rhönhirte aus der Ferne auf seine Schafe schaut.

So wollen wir am Ende dieser Besinnung für unsere Kirche, zu der wir gehören und die wir mitgestalten möchten, um sein sicheres Geleit beten. Und so rufen wir:

Litanei der Kirche

L 3

Antwortruf: Führe uns, Herr!

Kirche gesendet zu den Menschen aller Zeiten
Kirche eine Einladung an alle Schichten; Rassen und Völker
Kirche der Armen und der Wohlhabenden
Kirche der gesunden, kranken und sterbenden Menschen
Kirche aller Stände, Berufe und Altersklassen
Kirche der Erfolgreichen und derer, die sich im Leben schwer tun
Kirche der helfenden Hände, aber auch der Zuschauer
Kirche mit Zaungästen und Engagierten
Kirche mit Fehlern und Schwächen
Kirche mit Ratlosigkeit und Resignation
Kirche gelenkt durch die Hände der Menschen
Kirche, die sich freuen und trauern kann
Kirche, die oft an den Fragen der Menschen vorbeigeht
Kirche, die mit den Menschen von heute leben möchte
Kirche, die Jesu verborgene Spuren entdecken möchte
Kirche, die auf den Spuren Jesu gehen möchte

L 1
Die Kirche, unsere katholische Kirche, meine, deine, unsere Kirche. Die Kirche, die wir lieben und an der wir leiden. Die Kirche, deren Bild wir prägen. Die Kirche, jetzt noch so unvollendet, wartet voll Sehnsucht auf die Wiederkunft des Herrn.

Segen

Gott, begleite deine Kirche mit deinem Segen und führe sie auf dem Weg durch die Zeit. Das gewähre uns unser treuer Gott, der Vater der Sohn und der Heiligem Geist.

- Zither-Musik -


Pfarrer Stefan Mai

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